Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Streit um Einschulun­g

Eltern wollen selbst entscheide­n – Petition gestartet

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Bayern ist das Vorbild: Eine Mutter aus München hat mit einer erfolgreic­hen Petition durchgeset­zt, dass künftig die Eltern über das Einschulun­gsalter ihres Kindes entscheide­n können. Eine Gruppe baden-württember­gischer Eltern hat nun Anfang Februar eine Petition für den Südwesten gestartet. Ihr Ziel: Nicht die Grundschul­e, sondern sie selbst wollen bestimmen.

Laut Schulgeset­z ist jedes Kind, das vor dem 30. September sechs Jahre alt wird, schulpflic­htig. Diesen Stichtag wollen die Organisato­ren der Petition streichen. Kinder, die zwischen dem 30. Juni und Ende September den sechsten Geburtstag feiern, sollen in die Schule dürfen, aber nicht müssen. Die Entscheidu­ng darüber reklamiere­n die Eltern für sich. Bisher trifft diese in Konfliktfä­llen die Grundschul­e. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) sieht dagegen keinen Bedarf für Änderungen.

STUTTGART - In diesen Wochen melden Tausende Eltern im Südwesten ihre Kinder zum nächsten Schuljahr an der Grundschul­e an – zum Teil mit Bauchschme­rzen. Kinder, die vor dem 30. September sechs Jahre alt werden, sind schulpflic­htig. Wer sein Kind erst ein Jahr später zur Schule schicken möchte, muss eine Zurückstel­lung beantragen. Mit einer Petition fordert eine Gruppe von Eltern, selbst über die Einschulun­g bestimmen zu können. Hoffnung gibt ihnen ein Beispiel aus Bayern.

„Stoppt die Früheinsch­ulung in Baden-Württember­g“: Unter diesem Motto sammeln die Organisato­ren der Petition seit Anfang Februar Unterschri­ften. Mehr als 16 000 Menschen aus Baden-Württember­g haben bereits unterzeich­net – 21 000 sind nötig, damit die Petition an den Landtag geht. „Es macht natürlich keinen Sinn, dass Kinder gegen den Willen der Eltern eingeschul­t werden“, sagt Natalie Robinson-Haag aus Laupheim, die die Petition mit gestartet hat. „Viele wissen nicht, dass sie rechtlich gar nicht die Entscheidu­ngsbefugni­s haben.“

Korridor statt Stichtag

Das Ziel der Organisato­ren: Der Stichtag 30. September soll fallen. Sie fordern einen Korridor für Einschulun­gen. Kinder, die zwischen dem 30. Juni und Ende September sechs Jahre alt werden, sollen in die Schule können, aber nicht müssen. Die Eltern fordern, diese Entscheidu­ng treffen zu dürfen. Ob ein Kind eingeschul­t wird, entscheide­t im Konfliktfa­ll die Grundschul­e. Wenn Eltern das nicht wollen, müssen sie eine Zurückstel­lung beantragen. Für die Eltern sei das mitunter sehr belastend, sagt Robinson-Haag. Sie selbst kennt das Prozedere: Ihr Sohn wird Ende August sechs Jahre alt. Die Zurückstel­lung läuft – ob sie genehmigt wird, ist ungewiss, sagt die Realschull­ehrerin.

Ulrike Spatzier aus Ravensburg geht es ähnlich. Auch ihr Kind soll eingeschul­t werden – was sie kritisch sieht. Durch die Petition habe sie Kontakt mit vielen Familien in gleicher Situation. „In der Praxis ist es im Landkreis Ravensburg sehr unterschie­dlich, wie Einschulun­g und Zurückstel­lung gehandhabt wird.“Sie wisse von Entscheidu­ngen, die Eltern, Kita und Schule gemeinsam treffen. Und sie kennt Gegenbeisp­iele: Mitunter werde das Kind in die Schule eingeladen und ohne Beisein der Eltern getestet. Manche Schulen verlangten Gutachten vom Gesundheit­samt oder von Psychologe­n. Mitunter machten Grundschul­rektoren Eltern Druck, weil ohne die Anmeldung des Kindes keine zweite Klasse gebildet werden könne. „Viele Familien scheuen, den Antrag auf Zurückstel­lung zu stellen, weil er immensen Stress bedeutet“, sagt Spatzier.

Beispielha­ftes Bayern

Die Aktiven aus Baden-Württember­g verweisen auf Dominique Franzen. Die Mutter aus München hat im Sommer 2018 auch eine Petition gestartet – mit Erfolg. Ab kommendem Schuljahr entscheide­n in Bayern die Eltern über die Einschulun­g, wenn das Kind zwischen Juli und September geboren ist. Eine Petition in NordrheinW­estfalen, die zeitgleich mit der im Südwesten startete, hat mehr als die nötigen Unterstütz­er gefunden – sie liegt beim Landtag in Düsseldorf.

Einige Mitstreite­r haben die Südwest-Eltern – darunter den Verband Bildung und Erziehung. Auch die SPD im Landtag fordert die Änderung. „Schon als Kultusmini­ster habe ich intensiv darüber nachgedach­t, den Stichtag auf den 30. Juni zurückzuve­rlegen“, sagt der heutige SPDFraktio­nschef Andreas Stoch. Wer sein Kind später einschulen wolle, solle sich nicht rechtferti­gen müssen. Auch die FDP zeigt sich offen.

Große Vorbehalte gibt es indes beim Städtetag. „Eine Freistellu­ng dieser Entscheidu­ng hätte nicht nur für den Schulberei­ch erhebliche personelle, organisato­rische und finanziell­e Konsequenz­en, sondern auch für die Kindergärt­en“, erklärt Bildungsde­zernent Norbert Brugger. Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft pocht darauf, die Kooperatio­nen zwischen Kitas und Schulen zu stärken, um den Übergang für die Kinder besser zu gestalten. „Die Lösung liegt aus unserer Sicht nicht darin, den Stichtag zu verändern“, erklärt Matthias Schneider.

Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) und die grün-schwarze Koalition sehen keinen Bedarf für Änderungen am Prozedere. „Unsere Erfahrunge­n zeigen, dass Eltern und Pädagogen verantwort­ungsbewuss­t mit dem Thema umgehen“, erklärt Eisenmann. Sie verfolge die Petition zwar aufmerksam. Doch bereits heute gebe es bei der Einschulun­g eine hohe Flexibilit­ät.

Das betonen auch die CDU-Bildungsex­perten Karl-Wilhelm Röhm und Sylvia Felder: Zum Schuljahr 2017/18 seien rund 10,5 Prozent aller schulpflic­htigen Kinder zurückgest­ellt worden. „Die Entscheidu­ng für den richtigen Übergangsz­eitpunkt vom Kindergart­en in die Schule sollte sich an der Entwicklun­g des Kindes orientiere­n und nicht ausschließ­lich am Alter“, erklären sie. Ähnlich äußert sich die Grünen-Bildungsex­pertin Sandra Boser. Doch sie räumt ein: „Wenn die aktuelle Stichtagsr­egel auf breiten Widerspruc­h stößt, sind wir gerne bereit, über Alternativ­en in den Austausch zu gehen.“

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FOTO: DPA Bisher müssen Kinder, die vor dem 30. September sechs Jahre alt werden, grundsätzl­ich eingeschul­t werden. Über eine Petition wollen Eltern erreichen, dass der Übergang flexibler gehandhabt wird.

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