Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Drei Jahre Haft für Merklinger Landwirt
Weil er aus der Massentierhaltung eine „Massentierhölle“gemacht hatte, muss ein 56-Jähriger für drei Jahre hinter Gitter
ULM (sz) - Ein Schweinehalter aus Merklingen (Alb-Donau-Kreis) ist am Freitag in Ulm wegen Tierquälerei zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Infolge katastrophaler Zustände in den Ställen seien Hunderte Schweine verendet oder mussten getötet werden. Tierschützer hatten die Missstände aufgedeckt. Der 56-jährige Landwirt hatte sich schuldig bekannt.
MERKLINGEN/ULM - Mit Schweinemasken hinter Gitterstäben positionieren sich die Tierschützer schon eine Stunde vor Verhandlungsbeginn vor dem Ulmer Gerichtsgebäude. Eine Mahnwache für das Leid der Schweine. „Gefängnis für den Tierquäler“, steht auf einem Schild. Die Demonstranten bekamen ihren Willen: Wegen Tierquälerei in einem Schweinemastbetrieb in Merklingen ist ein 56 Jahre alter Landwirt am Freitag vom Amtsgericht zur Höchststrafe von drei Jahren Haft sowie einem lebenslangen Tierhaltungsverbot verurteilt worden. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft lediglich zwei Jahre gefordert, die Verteidigung ein Jahr und acht Monate – beide auf Bewährung.
Das Gericht will in dem „krassesten“Fall von Tierquälerei in der Bundesrepublik Deutschland aber ein „Exempel statuieren“, wie Richter Oliver Chama in seiner Urteilsverkündung sagte. Mehr als 1600 Tiere mussten sterben, weil sie behandelt wurden „wie der letzte Dreck“. Chama spricht von „Massentierhölle“ statt Massentierhaltung. Er wolle mit diesem Urteil abschrecken und einer „organisierten Agrarkriminalität“vorbeugen: „Gesetze gelten auch im Schweinestall“, sagte Chama – da wirkten sich auch die persönlichen Umstände des Angeklagten nicht strafmildernd aus.
Der Landwirt galt lange als verhandlungsunfähig. Ein Sachverständiger äußerte vor Gericht diesbezüglich aber keine Bedenken. Auch eine infrage gestellte Schuldfähigkeit wegen einer im Juni 2016 diagnostizierten schweren Depression schloss der psychiatrische Gutachter aus.
Zusammengekrümmt sitzt der 56Jährige auf der Anklagebank, hebt den Kopf kaum – wie ein „Häufchen Elend“, sagt Richter Chama. Der Landwirt äußert sich nicht. Auch nicht, als die von der Tierschutzorganisation „Soko Tierschutz“im Oktober 2016 heimlich aufgenommenen Videos der abgefressenen Ohren, angeschwollenen Gliedmaßen und toten Schweine bei der Verhandlung gezeigt werden. Sie hatten die verheerenden Zustände überhaupt erst aufgedeckt und die juristische Aufarbeitung ins Rollen gebracht. Eine Frau im restlos gefüllten Zuschauerraum des Sitzungssaals 113 bricht in Tränen aus. „Wie kann ein Mensch nur so was tun“, klagt sie.
Über seine Verteidigerin Corinna Nagel lässt der Landwirt mitteilen, dass er die Vorwürfe einräumt. Einen Antrag, Fragen zur Persönlichkeit des Landwirts nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu beantworten, lehnt das Gericht mit Blick auf das öffentliche Interesse ab. Beinahe regungslos nimmt der Landwirt die Befragung der sechs Zeugen wahr – bis auf eine Ausnahme. Da geht es um den Zeitpunkt, wann spätestens die Misere der von Schicksalsschlägen geplagten Landwirtsfamilie begonnen hatte. 2012 brannte nach einem Blitzeinschlag der Milchviehhof in der Dorfmitte ab. Wegen der Debatte um einen Wiederaufbau sah sich die Familie nicht nur einer Hetzkampagne im Dorf ausgesetzt, ihr brachen auch wichtige Einnahmen weg. Der Ehemann und Vater von zwei Söhnen nahm sich der Aufgabe an, das auszugleichen, wollte und konnte sich aber – so erklärt es seine Verteidigerin – nicht eingestehen, dass er das nicht schaffte. „Er wollte mit den Schweinen Geld machen“, sagte Richter Chama.
Überdurchschnittliche Sterberate
Immer wieder werden zwischen 2013 und 2016 Hunderte Schweine nachgekauft. Die Sterberate der Tiere ist in dieser Zeit aber überdurchschnittlich hoch. 2016 erreicht sie mit 21 Prozent den Höchststand, in einem „normalen“Stall liegt dieser Anteil zwischen zwei und zehn Prozent. Der Landwirt habe den Tieren erhebliche Schmerzen und Leid zugefügt, stellt der Richter fest.
Friedrich Mülln, der Kopf von „Soko Tierschutz“, nennt das Urteil „gigantisch“. „Ich kann es selbst noch nicht glauben.“Seit 25 Jahren decke er Missstände bei der Tierhaltung auf. Zustände wie in dem Mastbetrieb in Merklingen habe er noch nie erlebt – auch nicht in Ländern wie Polen, Ungarn, USA oder China. Für seine Aufnahmen war er in die Ställe eingebrochen und hatte gefilmt. Das Verfahren gegen ihn war gegen ein symbolisches Bußgeld von 100 Euro eingestellt worden.
Für Verwunderung sorgt am Freitag der als Zeuge geladene Amtstierarzt, der bereits in einem anderen Verfahren freigesprochen worden war. Er hatte den Mastbetrieb als Erster kontrolliert, nachdem die verheerenden Zustände bekannt geworden waren. Der Veterinär redete sich um Kopf und Kragen, als er von seiner Kontrolle berichtete. Richter Chama musste ihn an seine Wahrheitspflicht als Zeuge erinnern und hätte ihn wohl am liebsten mit eingesperrt. Chamas Einschätzung: „Entweder er ist inkompetent oder ein Lügner.“Unklar ist, ob das für den Veterinär noch ein Nachspiel haben könnte.
Das Verfahren gegen den Landwirt geht vermutlich in die Verlängerung. Direkt nach dem Urteil kündigt die Verteidigung an, in Revision oder Berufung gehen zu wollen.