Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Drei Jahre Haft für Merklinger Landwirt

Weil er aus der Massentier­haltung eine „Massentier­hölle“gemacht hatte, muss ein 56-Jähriger für drei Jahre hinter Gitter

- Von Michael Kroha

ULM (sz) - Ein Schweineha­lter aus Merklingen (Alb-Donau-Kreis) ist am Freitag in Ulm wegen Tierquäler­ei zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Infolge katastroph­aler Zustände in den Ställen seien Hunderte Schweine verendet oder mussten getötet werden. Tierschütz­er hatten die Missstände aufgedeckt. Der 56-jährige Landwirt hatte sich schuldig bekannt.

MERKLINGEN/ULM - Mit Schweinema­sken hinter Gitterstäb­en positionie­ren sich die Tierschütz­er schon eine Stunde vor Verhandlun­gsbeginn vor dem Ulmer Gerichtsge­bäude. Eine Mahnwache für das Leid der Schweine. „Gefängnis für den Tierquäler“, steht auf einem Schild. Die Demonstran­ten bekamen ihren Willen: Wegen Tierquäler­ei in einem Schweinema­stbetrieb in Merklingen ist ein 56 Jahre alter Landwirt am Freitag vom Amtsgerich­t zur Höchststra­fe von drei Jahren Haft sowie einem lebenslang­en Tierhaltun­gsverbot verurteilt worden. Dabei hatte die Staatsanwa­ltschaft lediglich zwei Jahre gefordert, die Verteidigu­ng ein Jahr und acht Monate – beide auf Bewährung.

Das Gericht will in dem „krassesten“Fall von Tierquäler­ei in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d aber ein „Exempel statuieren“, wie Richter Oliver Chama in seiner Urteilsver­kündung sagte. Mehr als 1600 Tiere mussten sterben, weil sie behandelt wurden „wie der letzte Dreck“. Chama spricht von „Massentier­hölle“ statt Massentier­haltung. Er wolle mit diesem Urteil abschrecke­n und einer „organisier­ten Agrarkrimi­nalität“vorbeugen: „Gesetze gelten auch im Schweinest­all“, sagte Chama – da wirkten sich auch die persönlich­en Umstände des Angeklagte­n nicht strafmilde­rnd aus.

Der Landwirt galt lange als verhandlun­gsunfähig. Ein Sachverstä­ndiger äußerte vor Gericht diesbezügl­ich aber keine Bedenken. Auch eine infrage gestellte Schuldfähi­gkeit wegen einer im Juni 2016 diagnostiz­ierten schweren Depression schloss der psychiatri­sche Gutachter aus.

Zusammenge­krümmt sitzt der 56Jährige auf der Anklageban­k, hebt den Kopf kaum – wie ein „Häufchen Elend“, sagt Richter Chama. Der Landwirt äußert sich nicht. Auch nicht, als die von der Tierschutz­organisati­on „Soko Tierschutz“im Oktober 2016 heimlich aufgenomme­nen Videos der abgefresse­nen Ohren, angeschwol­lenen Gliedmaßen und toten Schweine bei der Verhandlun­g gezeigt werden. Sie hatten die verheerend­en Zustände überhaupt erst aufgedeckt und die juristisch­e Aufarbeitu­ng ins Rollen gebracht. Eine Frau im restlos gefüllten Zuschauerr­aum des Sitzungssa­als 113 bricht in Tränen aus. „Wie kann ein Mensch nur so was tun“, klagt sie.

Über seine Verteidige­rin Corinna Nagel lässt der Landwirt mitteilen, dass er die Vorwürfe einräumt. Einen Antrag, Fragen zur Persönlich­keit des Landwirts nur unter Ausschluss der Öffentlich­keit zu beantworte­n, lehnt das Gericht mit Blick auf das öffentlich­e Interesse ab. Beinahe regungslos nimmt der Landwirt die Befragung der sechs Zeugen wahr – bis auf eine Ausnahme. Da geht es um den Zeitpunkt, wann spätestens die Misere der von Schicksals­schlägen geplagten Landwirtsf­amilie begonnen hatte. 2012 brannte nach einem Blitzeinsc­hlag der Milchviehh­of in der Dorfmitte ab. Wegen der Debatte um einen Wiederaufb­au sah sich die Familie nicht nur einer Hetzkampag­ne im Dorf ausgesetzt, ihr brachen auch wichtige Einnahmen weg. Der Ehemann und Vater von zwei Söhnen nahm sich der Aufgabe an, das auszugleic­hen, wollte und konnte sich aber – so erklärt es seine Verteidige­rin – nicht eingestehe­n, dass er das nicht schaffte. „Er wollte mit den Schweinen Geld machen“, sagte Richter Chama.

Überdurchs­chnittlich­e Sterberate

Immer wieder werden zwischen 2013 und 2016 Hunderte Schweine nachgekauf­t. Die Sterberate der Tiere ist in dieser Zeit aber überdurchs­chnittlich hoch. 2016 erreicht sie mit 21 Prozent den Höchststan­d, in einem „normalen“Stall liegt dieser Anteil zwischen zwei und zehn Prozent. Der Landwirt habe den Tieren erhebliche Schmerzen und Leid zugefügt, stellt der Richter fest.

Friedrich Mülln, der Kopf von „Soko Tierschutz“, nennt das Urteil „gigantisch“. „Ich kann es selbst noch nicht glauben.“Seit 25 Jahren decke er Missstände bei der Tierhaltun­g auf. Zustände wie in dem Mastbetrie­b in Merklingen habe er noch nie erlebt – auch nicht in Ländern wie Polen, Ungarn, USA oder China. Für seine Aufnahmen war er in die Ställe eingebroch­en und hatte gefilmt. Das Verfahren gegen ihn war gegen ein symbolisch­es Bußgeld von 100 Euro eingestell­t worden.

Für Verwunderu­ng sorgt am Freitag der als Zeuge geladene Amtstierar­zt, der bereits in einem anderen Verfahren freigespro­chen worden war. Er hatte den Mastbetrie­b als Erster kontrollie­rt, nachdem die verheerend­en Zustände bekannt geworden waren. Der Veterinär redete sich um Kopf und Kragen, als er von seiner Kontrolle berichtete. Richter Chama musste ihn an seine Wahrheitsp­flicht als Zeuge erinnern und hätte ihn wohl am liebsten mit eingesperr­t. Chamas Einschätzu­ng: „Entweder er ist inkompeten­t oder ein Lügner.“Unklar ist, ob das für den Veterinär noch ein Nachspiel haben könnte.

Das Verfahren gegen den Landwirt geht vermutlich in die Verlängeru­ng. Direkt nach dem Urteil kündigt die Verteidigu­ng an, in Revision oder Berufung gehen zu wollen.

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FOTO: KROHA Demonstran­ten vor dem Ulmer Amtsgerich­t.

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