Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eltern drohen Land wegen Unterricht­sausfalls mit Klage

Rechtsguta­chten sieht für Kinder geringere Chancen, wenn mehr als acht Prozent der Schulstund­en entfallen

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STUTTGART (lsw) - Elternvert­reter drohen mit einer Klage gegen das Land Baden-Württember­g, weil die Unterricht­sausfälle an Gymnasien ihrer Meinung nach ein unzumutbar­es Ausmaß erreicht haben. Zunächst wollen die Eltern aber noch einmal das Gespräch mit Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) suchen, um kurzfristi­ge Verbesseru­ngen zu erreichen.

„Die Situation ist eine Katastroph­e, und sie muss schnell geändert werden“, sagte der Vorsitzend­e der Arbeitsgem­einschaft (Arge) der Elternbeir­äte in Stuttgart, Michael Mattig-Gerlach, am Freitag in Stuttgart. Ein Gerichtsve­rfahren könnte sich mehrere Jahre lang hinziehen.

Jens Hoeksma, Vater eines Gymnasiast­en in Freiburg, sagte: „Ich habe Angst um meinen Sohn, dass er das Abitur nicht schafft.“Die Prüfungsan­forderunge­n im Abitur seien gleich geblieben, obwohl wegen der Ausfallzei­ten weniger Stoff vermittelt werde. Hoeksma listete 92 Stunden auf, die seit Beginn dieses Schuljahre­s bei seinem ältesten Sohn in der zehnten Klasse ausgefalle­n und auch nicht vertreten worden seien. Laut Mattig-Gerlach entspricht dies einem Anteil von elf Prozent an dem Unterricht, der eigentlich erteilt werden sollte. Die Arge sieht Hoeksmas Sohn als potenziell­en Kläger.

Eine Sprecherin des Kultusmini­steriums bestätigte den Unterricht­sausfall in diesem konkreten Fall. Das Regierungs­präsidium Freiburg sei mit dem Gymnasium im Gespräch, um den Ausfall zu verringern. Grundsätzl­ich gebe es aber Planungsfe­hler aus der Vergangenh­eit. „Das Grundprobl­em besteht darin, dass es derzeit schlicht zu wenig Lehrer gibt. Wir haben im Moment offene Stellen, die wir aber leider nicht alle besetzen können“, teilte das Ministeriu­m mit. Die CDU hat seit 2016 das Kultusmini­sterium inne. Von 2011 bis 2016 wurde das Ressort von der SPD geleitet.

Die Arge Stuttgart präsentier­te ein Rechtsguta­chten des Anwalts Thomas Würtenberg­er. Er vertritt die Meinung, dass in den letzten drei Jahren vor dem Abitur an den Gymnasien nicht mehr als acht Prozent an Unterricht in den Abiturfäch­ern ausfallen dürfe. Bei einer höheren Quote sei zu befürchten, dass die Chancengle­ichheit eines Schülers im Vergleich zu denen, die keine hohen Unterricht­sausfälle verkraften müssten, nicht gewährleis­tet sei.

Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) fordert vom Land mehr Lehrer, die als Vertretung einspringe­n können. Im September 2018 hätten rund 2000 Gymnasiall­ehrer keine Stellen bekommen, sagte Landeschef­in Doro Moritz. Der Bildungsex­perte der SPD, Stefan Fulst-Blei, warf der grün-schwarzen Regierung von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) Tatenlosig­keit vor. Es sei richtig, dass Eltern bereit seien, vor Gericht zu ziehen. Dass an den Gymnasien so viel Unterricht ausfalle, gehe auf die Kappe von Ministerin Eisenmann. Diese hatte jüngst erklärt, dass sie in Baden-Württember­g bis zum Jahr 2030 einen Bedarf von rund 10 600 zusätzlich­en Lehrerstel­len sieht.

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FOTO: DPA Jens Hoeksma hat auf seinem Smartphone die ausgefalle­nen Schulstund­en seines Sohnes protokolli­ert.

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