Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Der Täter inszenierte sich ähnlich wie Anders Breivik“
BERLIN - Der Attentäter von Christchurch inszenierte sich als moderner Kreuzfahrer, sagt TerrorForscher Peter R. Neumann, Professor am King’s College in London, im Gespräch mit Hannes Koch. Dabei inspirierten sich rechte und dschihadistische Terroristen.
Herr Neumann, einer der Terroristen hat den Anschlag in Christchurch offenbar mit seiner Helmkamera gefilmt und live über Facebook verbreitet. Gibt es Vorbilder für solche Propaganda?
2011 griff ein Dschihadist eine jüdische Schule in Toulouse an. Er hatte sich eine Kamera umgeschnallt, die aber nicht funktionierte. Seitdem musste man mit diesem Muster rechnen. Christchurch dürfte nun der erste wichtige derartige Anschlag sein. Im Gegensatz dazu wurden die Enthauptungsvideos des „Islamischen Staates“nicht live veröffentlicht, sondern später.
Haben sich Rechtsradikale vorher solcher medialer Mittel bedient?
Dschihadistische und rechte Terroristen befruchten sich gegenseitig. Der norwegische Attentäter Anders Breivik, der 77 Menschen ermordete, schaute sich seine Taktik bei Al-Kaida ab, wie er selbst erklärte.
Wie hat sich der Täter von Christchurch inszeniert?
Ähnlich wie Breivik 2011. Auch er veröffentlichte zur Tat ein Manifest. Er übernahm die von Breivik zugespitzte Ideologie, rechte Attentäter heute seien moderne Kreuzritter, die wie ihre Vorbilder im Mittelalter gegen den Islam kämpften. Bei rechten Demonstrationen, beispielsweise Pegida, tauchen immer wieder Leute in Roben der Kreuzfahrer auf. Diese Rechten wollen keine Verlierer sein, sondern Kämpfer. Um solche Gedanken vor seiner Tat zu verbreiten, nutzte der Attentäter von Christchurch offenbar viele Plattformen im Netz. Eine davon heißt 4chan. Anscheinend kündigte er den Anschlag so auch an.
Ein Motiv des Täters für die Veröffentlichung seines Mordvideos könnte sein, Gleichgesinnte zu ähnlichen Verbrechen aufzurufen. Was wollte er noch erreichen?
Terror soll immer Nachahmer motivieren. Deshalb ist die Zeit unmittelbar nach einem Anschlag so wichtig und gefährlich. Dann kann der Mobilisierungseffekt eintreten – und die nächsten Terroristen machen sich bereit. Außerdem geht es darum, die eigene Ideologie zu verbreiten.
Facebook und Twitter löschten die Seiten des Täters. Das Mordvideo wurde von anderen Leuten aber weiterverbreitet. Wie lässt sich so was verhindern?
Soziale Medien wie Facebook und Twitter passen inzwischen besser auf. Sehr schwierig ist die Kontrolle aber, wenn Livevideos hochgeladen und innerhalb weniger Stunden auf Hunderten Webseiten geteilt werden. Meine Empfehlung lautet, die virtuellen Subkulturen im Netz staatlich stärker zu überwachen. Damit würden Tatankündigungen vielleicht eher auffallen, und man könnte solche Seiten präventiv sperren.