Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nähen und stricken mit digitaler Hilfe
Beim Nähen, Häkeln oder Stricken stehen Handarbeitsfans digitale Assistenten zur Seite – Mit Video-Tutorials, Apps und Online-Anleitungen gelingt der Einstieg
Das Maschen-Zählen für den Pulli übernimmt die App und zum Schneidern einer neuen Jacke klickt man sich einfach in ein Online-Tutorial: Die Digitalisierung hält auch in die Welt der traditionellen Handarbeiten immer stärker Einzug. Das zeigt sich aktuell auf der Messe „Creativa 2019“in Dortmund. Dort werden neue Trends, Materialien und Techniken präsentiert. Und dort bekommt auch ein neues Verfahren eine Bühne, mit dessen Hilfe das Nähen mit Virtual Reality deutlich erleichtert werden soll.
Es sei einiges im Wandel in der längst nicht mehr als altbacken geltenden Handarbeitswelt, sagt Branchenkenner Axel Heinz, Mitbegründer des Online-Marktplatzes Makerist. „Die Digitalisierung etabliert sich in einzelnen Bereichen des Selbermachens. Und das wird weiter wachsen“, meint Heinz. Seine noch junge Plattform für Handarbeit im Netz verzeichnet jedenfalls eine stark steigende Nutzerzahl von aktuell mehr als einer Million. Im wachsenden Do-It-Yourself-Bereich tummeln sich viele Kreative auf der Suche nach einem lukrativen Marktmodell.
Vom Handy auf den Stoff
Eine Idee heißt „Pattarina“und gehört zu den Neuheiten der Messe, auf der bis Sonntag 650 internationale Aussteller zu der europaweit größten Kreativmesse erwartet werden. Man übertrage damit Schnittmuster direkt vom Handy auf den Stoff, kündigt Entwicklerin Nora Baum an. Ihr Projekt – als wissenschaftliche Existenzgründung gefördert und von der Brandenburgischen Technischen Universität unterstützt – soll bis Juni marktreif sein. „Der Teil, der den allermeisten Menschen beim Nähen keinen Spaß macht, fällt weg. Also das Schnittmuster-Schneiden, das Kleben, Drucken, Abpausen“, schildert Baum. Wie soll Pattarina funktionieren? Auf dem Handy sieht man eine virtuelle Schnittlinie – etwa für das ausgewählte Kinderkleidchen. Und zugleich schaut man der eigenen Hand zu, die unterhalb des Handys entlang der virtuellen Linie den realen Stoff markiert, mit einem leicht gängigen Filzstift oder Trickmarker aus dem Nähladen. Danach geht es entlang der Pünktchen oder Strichellinien auf dem Stoff direkt ans Ausschneiden, erläutert Nora Baum. Die Schnittmuster werden vorher online bei Partneranbietern gekauft – als QR-Quellcode, den die Pattarina-App mittels Handy auslesen kann. „Man erzielt eine sehr relevante Zeitersparnis und braucht nur noch Sekunden“, verspricht die Entwicklerin. Im Blick habe sie zunächst mal Mütter, die für sich und ihre Kinder ganz fix was Neues nähen wollten. Praktisch findet Baum: Diese Mütter-Zielgruppe sei oft um die 30 Jahre alt und damit zugleich im „digital-affinen“Alter.
Auch Anbieter Makerist richtet sich vor allem an den Wünschen und Vorlieben von Frauen ab 35 Jahre aufwärts aus. Auch die Gruppe 50plus nutze Tablets und Laptops rege, berichtet Axel Heinz. Über seine Plattform kann man nicht nur vom Garn über die Nähmaschine alles bestellen. Strick-, Bastel-, Näh- oder Häkelanleitungen lassen sich auch papierfrei Stricken ist längst wieder zu einem beliebten Hobby geworden. Anleitungen und Ideen dafür sind im Netz zu finden. runterladen. „Wir haben 40 000 digitale Anleitungen und täglich kommen 50 bis 100 neu hinzu.“
Man verfolge einen Rundum-Ansatz – mit Online-Tutorials oder Videokursen für Anfänger und Fortgeschrittene. Dort zeigen Profis, wie es geht – egal, ob es eine Hose, Babydecke oder ein Stofftier werden soll. Das stolze Posten von gelungenen, eigenen Werken gehöre dazu. „Vor allem sind wir ein Marktplatz für Ideen und Inspiration.“
Vor Ort und im Netz
Geht künftig alles also nur noch digital? Das wohl nicht. Heinz glaubt, dass das Lernen in Kursen vor Ort, das gemeinsame Handarbeiten immer bleiben wird. Zugleich erweitern die Verlage parallel zu ihren Büchern, Zeitschriften und Papierschnittmustern aber auch ihr digitales Angebot. Für die jüngere Generation sei das Werkeln mit digitaler Hilfe selbstverständlich, beobachtet Trend-Expertin Gabriela Kaiser. „Vor allem Apps, bei denen man mit immer wieder neuen kreativen Ideen und Anleitungen versorgt wird, sind beliebt.“Dabei ist der Umgang mit Wolle und Stoff vor allem Frauensache. Es gebe zwar auch ein paar bekannte Männer, die mit ihren Anleitungen Erfolge erzielten. „Aber sie sind tatsächlich selten.“