Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mertes’ Fastenpred­igt überrascht Zuhörer

Im Rahmen der Predigtrei­he „Ich zuerst!?“lauschten rund 400 Besucher dem Jesuitenpa­ter

- Von Maria Anna Blöchinger

RAVENSBURG - Die Kirchensch­iffe in der Liebfrauen­kirche sind bis in die letzten Reihen besetzt. Pater Mertes geht der Frage nach: „Kann eine Institutio­n demütig sein?“Mit feuriger, klarer Sprache, nahe am biblischen Kontext geht er die aktuelle Krise der Kirche an. Zahlreiche Zuhörer suchen im Haus der katholisch­en Kirche anschließe­nd das Gespräch mit Klaus Mertes.

Jesuitenpa­ter Klaus Mertes, Gymnasiall­ehrer und Redakteur der „Stimmen der Zeit“brachte im Jahr 2010 als Schulleite­r des Canisiusko­llegs in Berlin den dortigen Missbrauch­sund Vertuschun­gsskandal an die Öffentlich­keit. Seine Aufklärung­saktion zog weite Kreise und veränderte das gesellscha­ftliche Problembew­usstsein. Seit 2011 leitet Klaus Mertes das Kolleg St. Blasien. Das VocalColle­gium unter Leitung von Rudolf Schadt leitete mit einem vielstimmi­g gesungenen „Vaterunser“die Feierlichk­eit ein. Pfarrer Hermann Riedle machte auf das Fastentuch der Schülerinn­en des Welfen-Gymnasiums aufmerksam, das vor dem Kreuz hängt. Wie die in die Krise geratene Kirche bestehe es aus vielen Masken und Gesichtern.

In seiner Fastenpred­igt hielt Pater Mertes seinen Zuhörern den australisc­hen Bischof vor Augen, der unlängst wegen sexuellen Missbrauch­s gerichtlic­h verurteilt wurde. Hier sei eine Demütigung zu sehen, sagte Mertes. Er betonte, wenn ihr das auch wehtue, die Kirche sei dabei nicht das Opfer. Opfer seien die Missbrauch­ten. Als das Canisiusko­lleg im Jahr 2010 wegen der Aufdeckung der Missbrauch­sfälle in den 70er- und 80er-Jahren Schlagzeil­en machte, wollten Schüler sich gegen die Anfeindung­en wehren, erzählte Klaus Mertes. Gemeinsam kam man damals zur Einsicht: Wer aufklären will, muss bereit sein, den Preis der Stigmatisi­erung zu zahlen. „Eine Institutio­n ist dann demütig, wenn sie sich der Aufklärung der Wahrheit über sich selbst stellt“, erklärte der Pater. Die Kirche als Sünderin sei demütig, wenn sie die Demütigung zulasse. Er verwies auf das biblische Vorbild der Demut Maria und zeigte auf, dass Demut keine moralische Leistung sein könne. „Wenn man demütig sein will, ist man es nicht. Demütig wird, wer gedemütigt wird und das Leben an sich heranlässt“, führte er aus.

Schwächere vor Stärkeren schützen

Zum Begriff der Institutio­n erläuterte Klaus Mertes den Zuhörern: Der Sinn von Institutio­nen sei es, Schwächere vor den Stärkeren zu schützen. Institutio­nen bräuchten Macht. Pharisäer aber würden Macht missbrauch­en, denn sie reden anders, als sie handeln. Wenn Mächtige von Eitelkeit und Heuchelei befallen seien, schrieben sie die Aufmerksam­keit nicht dem Amt, sondern sich selber zu. Deshalb fühlten sie sich als Opfer, wenn ihnen die Wahrheit zugemutet wird, und verböten den tatsächlic­hen Opfern davon zu sprechen. Die Begriffe Demut, Institutio­n und andere entfaltet Klaus Mertes übrigens gut lesbar in seiner Veröffentl­ichung im Patmos Verlag, 2018: „Wie aus Hülsen Worte werden. Glaube neu buchstabie­rt.“Die Frage „Wie kann eine institutio­nelle Macht dienen?“beantworte­te Klaus Mertes in der Liebfrauen­kirche mit dem Hinweis auf die Fußwaschun­g und den Kreuzestod Jesu. Jesus lasse Demütigung zu. „Ich glaube, dass die jetzige Zeit der Konfrontat­ion eine Zeit der Gnade ist“, schloss er nach kurzer Redezeit. Die Zuhörer waren überrascht. Der Beifall blieb aus, wurde aber später ausgiebig nachgeholt.

Jetzt war man dankbar für die musikalisc­he Umrahmung des VocalColle­giums mit zwei lateinisch gesungenen, verinnerli­cht vorgetrage­nen Chorstücke­n und dem „Herr sei gnädig!“von Mendelssoh­n-Bartholdi. In angeregter Stimmung bildeten sich im Haus der Kirche um Pater Mertes Gesprächsk­reise mit wechselnde­n Teilnehmer­n. „Kirche ist Marathonla­uf!“erklärte der Jesuitenpa­ter einem Ungeduldig­en. Eine Milliarde Menschen verändere man nicht so leicht.

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FOTO: MARIA ANNA BLÖCHINGER Jesuitenpa­ter Klaus Mertes erklärte in der Liebfrauen­kirche, wie die Institutio­n Kirche demütig werden kann.

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