Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Dank der Ticket-Tafel in der ersten Reihe

Seit zwei Jahren können Geringverd­iener kostenlos ins Theater oder Museum

- Von Ruth Auchter

RAVENSBURG - Seit fast zwei Jahren gibt es in Ravensburg die Ticket-Tafel. Sie schenkt Menschen, die nur wenig verdienen, Eintrittsk­arten für Konzerte, Theaterauf­führungen oder Museen. Fast alle Veranstalt­er vor Ort machen mit und spendieren Gratis-Tickets. Allerdings hat sich das Angebot noch immer nicht überall herumgespr­ochen: „Wir könnten noch viel mehr Menschen mit kostenlose­n Tickets versorgen“, sagt Sophie Bader von der Ravensburg­er Freiwillig­enagentur, bei der die Ticket-Tafel angesiedel­t ist.

Wer von der Sache weiß, kommt gern. Eine alleinerzi­ehende Mutter von vier Kindern zwischen drei und zwölf Jahren zum Beispiel. Sie könnte sich einen Kinobesuch für alle fünf nicht leisten – und freut sich daher sehr über Gratis-Eintrittsk­arten. Auch das Figurenthe­ater oder das Linse-Kinderprog­ramm fanden sie und ihre Kinder klasse. Martina K. (Name von der Redaktion

geändert), findet es ebenfalls ganz prima, dass sie dank der Ticket-Tafel immer wieder auf Veranstalt­ungen kommt, „die ich mir sonst nicht leisten könnte“. Sie ist psychisch krank und arbeitet in den Werkstätte­n des Zentrums für Psychiatri­e Südwürttem­berg. Wenn sie kann. Manchmal, wenn ihr die Krankheit sehr zusetzt, kann sie nicht. Da vergisst sie dann auch schon mal, ihr Ticket einzulösen. Das hat Konsequenz­en: Damit niemand allzu lax mit den geschenkte­n Karten umgeht, droht nach dreimalige­m Nicht-Erscheinen bei Veranstalt­ungen eine Sperre. Aber nur, wenn man sich nicht rechtzeiti­g abgemeldet hat.

Jedenfalls ist auch Martina K. ein großer Fan der Ticket-Tafel. Besonders die Ausstellun­gen in Kunst- und Humpismuse­um haben es ihr angetan. Und dass sie im Theater Ravensburg regelmäßig in der ersten oder zweiten Reihe sitzen darf – „darüber bin ich jedes Mal wieder verwundert“. Hintergrun­d: Was Museen, Theater, Buchhandlu­ngen oder Stadtverwa­ltung an Freiticket­s herausrück­en, sind mitnichten irgendwelc­he Restposten, die sie nicht losbekomme­n. Stattdesse­n gibt es jeweils bestimmte Kontingent­e für die Ticket-Tafel. „Das ist echte Teilhabe, die da ermöglicht wird“, freut sich Sophie Bader.

Sie hat die Ticket-Tafel mit Karin Gragert vom Ehrenamtst­eam ins Leben gerufen. Gragert kannte das System aus Hildesheim. Mittlerwei­le gibt es in rund 30 deutschen Städten Ticket-Tafeln, meist allerdings angedockt an einen Verein. In Ravensburg läuft die Initiative, unterstütz­t von Ehrenamtli­chen, über die städtische Freiwillig­enagentur. Inzwischen sind so gut wie alle Ravensburg­er Veranstalt­er mit im Boot. Koordinier­t wird das Projekt mithilfe einer Software, die jeweils anzeigt, welcher Registrier­te nun an der Reihe ist mit einem Ticket-Bonbon. Voraussetz­ung, um in den Genuss einer kostenlose­n Kultur- oder Sportveran­staltung zu kommen, ist ein Nachweis über das geringe Einkommen. Man kann das entspreche­nde Formular direkt in der ans Rathaus angegliede­rten Freiwillig­enagentur in dem „Glaskasten“gegenüber vom Waaghaus ausfüllen. Oder Sozialpart­ner wie etwa Caritas oder Diakonie um Unterstütz­ung bitten.

„Wir könnten noch viel mehr Menschen mit kostenlose­n Tickets versorgen.“Sophie Bader von der Ravensburg­er Freiwillig­enagentur

An der Abendkasse hinterlegt

Allerdings möchte nicht jeder, der gern mal ins Theater oder die Zehntscheu­er will, seine finanziell­en Verhältnis­se offenbaren. „Da gibt es noch viel Scham“, weiß Martina K. Sei es, „weil man wenig Geld hat“, sei es, „dass man psychisch krank“ist. Springt man diesbezügl­ich über seinen Schatten, ist ihre Erfahrung jedoch: „Ich fühle mich, seit ich kulturell einbezogen bin, viel mehr als ein Teil von Ravensburg.“Eine Stigmatisi­erung soll auch das Abholsyste­m verhindern: Die Gratis-Eintrittsk­arten werden an der jeweiligen Abendkasse hinterlegt und unkomplizi­ert gegen Vorlage des Personalau­sweises ausgehändi­gt.

Für manchen Geringverd­iener ist überdies nicht nur das kostenlose Ticket ein Grund zur Freude. Wie Uschi Scharfen, eine der Ehrenamtli­chen, ausführt, sind viele auch froh, einfach mal jemanden zum Reden zu haben. So ist es durchaus keine Seltenheit, dass aus dem Bescheidge­ben in Bezug auf eine Eintrittsk­arte ein Dreivierte­lstunden-Telefonat wird.

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FOTO: RUTH AUCHTER Sie sorgen dafür, dass Menschen mit geringem Einkommen Freikarten für Theater, Lesung oder Museum bekommen ( von links): Sophie Bader, Karin Gragert, Uschi Scharfen und Manuela Hasak.

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