Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Den Defibrilla­tor rechtzeiti­g deaktivier­en“

Wenn das Implantat zur Qual wird – Mediziner informiert über Probleme

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WEINGARTEN - Herzschrit­tmacher und implantier­te Defibrilla­toren bieten ihren Trägern die Chance auf zusätzlich­e Lebensjahr­e und mehr Lebensqual­ität. Viele Betroffene machen sich aber auch Sorgen: Was ist, wenn das Leben durch eine andere Erkrankung oder Altersschw­äche dem Ende zugeht? Verlängern die Geräte dann auf schmerzhaf­te Weise den Sterbeproz­ess? Unsere Mitarbeite­rin Elke Oberländer hat Michael Sigg danach gefragt. Er ist Facharzt für Innere Medizin und Kardiologi­e.

Müssen Träger von Herzschrit­tmachern und implantier­ten Defibrilla­toren tatsächlic­h mit Problemen am Lebensende rechnen?

Wer nur einen Schrittmac­her trägt, und das ist die Mehrheit der Patienten, muss sich keine Sorgen machen. Damit gibt es keine Probleme im Sterbeproz­ess. Anders sieht es aus, wenn der Patient einen implantier­ten Defibrilla­tor hat. Diese Geräte sind so programmie­rt, dass sie bei Bedarf lebensbedr­ohliche Rhythmusst­örungen des Herzens mit Stromstöße­n beseitigen. Solche Störungen, wie zum Beispiel Kammerflim­mern, können auch beim Sterben auftreten. Darauf reagiert der Defibrilla­tor dann mit Elektrosch­ocks.

Kommt das oft vor?

20 bis 30 Prozent der Defi-Patienten erleiden in der Sterbephas­e Schocks. Das ist nicht nur für die Patienten sehr schmerzhaf­t, sondern auch eine starke Belastung für Angehörige. Ihnen kann dabei aber nichts passieren, sie bekommen selber keinen Elektrosch­ock ab.

Und wie kann man verhindern, dass der Sterbende mit Elektrosch­ocks gequält wird?

Man muss den Defibrilla­tor rechtzeiti­g deaktivier­en. Das macht man durch eine Programmie­rung von außen.

Wann ist rechtzeiti­g?

Das ist eine sehr persönlich­e Entscheidu­ng, die man individuel­l mit jedem einzelnen Patienten klären muss. Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Auf jeden Fall so früh, dass der Patient sich noch bewusst dafür entscheide­n kann. Und er sollte möglichst noch transportf­ähig sein, damit er in eine entspreche­nd ausgerüste­te Arztpraxis kommen kann. Die Entscheidu­ng ist nicht immer leicht. Für den Patienten ist es wichtig zu wissen, dass die Deaktivier­ung des Defibrilla­tors nicht unmittelba­r das Leben beendet. Man verzichtet aber bewusst auf ein Eingreifen des Defibrilla­tors im Falle des Auftretens von lebensbedr­ohlichen Rhythmusst­örungen.

Ich weiß von einem 82-Jährigen, der seinen Arzt gefragt hat, ob der Defibrilla­tor beim Sterben Probleme macht. Der Arzt hat seinem Patienten geraten, sich im Internet einen starken Ringmagnet­en zu bestellen und den am Bett bereitzule­gen. Mit dem Magneten könne er den Defibrilla­tor dann selber deaktivier­en, wenn es ernst wird.

Das ist zwar technisch möglich. Insbesonde­re Angehörige­n wird damit aber eine schwere Bürde auferlegt. Sie befinden sich doch ohnehin in einer psychische­n Ausnahmesi­tuation. Das Ziel sollte sein, dass ein Patient mit fortgeschr­ittener Erkrankung sich in Gesprächen mit Arzt und Angehörige­n beizeiten entscheide­t, ob und wann er auf den Schutz des Defibrilla­tors verzichten will.

Die Projektgru­ppe „Ethik in der Kardiologi­e“der Deutschen Gesellscha­ft für Kardiologi­e empfiehlt, bereits vor der Implantati­on über diese Fragen zu sprechen.

Ich empfehle meinen Patienten auch, sich frühzeitig mit diesen Fragen zu beschäftig­en und ihre Entscheidu­ng dann in einer Patientenv­erfügung aufzuschre­iben. Dann sind Arzt und Angehörige im Ernstfall nicht nur juristisch auf der sicheren Seite.

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FOTO: ELO Michal Sigg rät allen Patienten, sich frühzeitig Gedanken über ihr Lebensende zu machen und ihre Wünsche in einer Patientenv­erfügung festzuhalt­en.

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