Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Künast darf im Netz beleidigt werden
BERLIN (dpa) - Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast ist vor Gericht mit dem Versuch gescheitert, gegen Beschimpfungen auf Facebook gegen sie vorzugehen. Laut Beschluss des Landgerichts Berlin stellen entsprechende Kommentare „keine Diffamierung der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen“dar. Unbekannte hatten sie unter anderem als „Stück Scheiße“und „Geisteskranke“bezeichnet und noch drastischere sowie sexistische Posts geschrieben.
Schlampe“, „Stück Scheiße“, „Drecks Fotze“: Normalweise würden solche Ausdrücke nicht in der „Schwäbischen Zeitung“stehen. Doch in diesem Fall sind sie der Anlass für eine juristische Auseinandersetzung zwischen der Grünen-Bundestagsabgeordneten Renate Künast und Facebook. Dem Berliner Landgericht zufolge darf Künast so bezeichnet werden. Diese Worte, geschrieben von Kommentatoren auf Facebook, seien keine Beleidigungen, sondern „zulässige Meinungsäußerungen“, urteilten die Richter. Das Gleiche gelte auch für den Vorschlag „Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!“, und für die Frage, ob Künast „als Kind vielleicht ein bisschen viel gef...“worden sei.
All das müssen sich Künast und andere Träger öffentlicher Ämter laut Beschluss gefallen lassen. Der Hass sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Doch vieles spricht dafür, dass diese Freiheit missbraucht wird, um vor allem Frauen mit anderer Meinung zu demütigen und zu erniedrigen. Der Beschluss mutet wie ein Freifahrtschein für sexualisierte Gewalt an Frauen und Hassrede im Internet an.
Auslöser der Nachrichten war ein Kommentar eines rechten Netzaktivisten. Dieser hatte sich auf eine Bundestagsdebatte vor gut 30 Jahren bezogen. Eine grüne Abgeordnete sprach zum Thema häuslicher Gewalt, als ein CDU-Kollege fragte, wie sie zum Beschluss der NRW-Grünen stünde, Geschlechtsverkehr mit Kindern zu entkriminalisieren. Daraufhin rief Künast: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist.“Der Netzaktivist erweiterte die Aussage um „ … ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt.“Auch wenn Künast sich mehrfach von der damaligen Position distanziert hat – laut Gericht darf man ihr das in den Mund legen. Denn ihr Zwischenruf befände sich auch im sexuellen Bereich, zudem müsse sie sich als Politikerin „sehr weit überzogene Kritik gefallen lassen“.
Doch Cyberhass wie dieser verletzt die Würde des Menschen. Er basiert auf der Annahme, dass bestimmte Menschengruppen weniger wert sind als andere. In dem Fall: Frauen. Einige Opfer von verbaler sexualisierter Gewalt wie Künast klagen ihr Recht ein oder können selbstbewusst mit solchen Nachrichten im Netz umgehen. Doch das ist längst nicht bei allen so. Hassrede kann nachhaltige psychische Probleme bedeuten. Sie kann zu Ess- und Schlafstörungen führen und im Extremfall sogar zu Selbstmordgedanken.
Polizei und Justizbehörden fehlt es bislang an Kompetenz, damit umzugehen. Immerhin gibt es erste Ansätze. Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland, das sowohl ausgebildete Polizeistellen für als auch eine geschulte Staatsanwaltschaft in Hasskriminalität hat. In Hessen will die schwarz-grüne Regierung jetzt ebenfalls speziell ausgebildete Juristen und Polizisten einsetzen sowie ein Präventionsnetzwerk schaffen. Das Bundesfamilienministerium fördert zudem die App „Love-Storm“. Hier können Nutzer Cyberhass melden – anschließend reagieren geschulte Personen auf die Kommentare.