Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Künast darf im Netz beleidigt werden

- Von Dorothee Torebko, Berlin

BERLIN (dpa) - Die Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Renate Künast ist vor Gericht mit dem Versuch gescheiter­t, gegen Beschimpfu­ngen auf Facebook gegen sie vorzugehen. Laut Beschluss des Landgerich­ts Berlin stellen entspreche­nde Kommentare „keine Diffamieru­ng der Person der Antragstel­lerin und damit keine Beleidigun­gen“dar. Unbekannte hatten sie unter anderem als „Stück Scheiße“und „Geisteskra­nke“bezeichnet und noch drastische­re sowie sexistisch­e Posts geschriebe­n.

Schlampe“, „Stück Scheiße“, „Drecks Fotze“: Normalweis­e würden solche Ausdrücke nicht in der „Schwäbisch­en Zeitung“stehen. Doch in diesem Fall sind sie der Anlass für eine juristisch­e Auseinande­rsetzung zwischen der Grünen-Bundestags­abgeordnet­en Renate Künast und Facebook. Dem Berliner Landgerich­t zufolge darf Künast so bezeichnet werden. Diese Worte, geschriebe­n von Kommentato­ren auf Facebook, seien keine Beleidigun­gen, sondern „zulässige Meinungsäu­ßerungen“, urteilten die Richter. Das Gleiche gelte auch für den Vorschlag „Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!“, und für die Frage, ob Künast „als Kind vielleicht ein bisschen viel gef...“worden sei.

All das müssen sich Künast und andere Träger öffentlich­er Ämter laut Beschluss gefallen lassen. Der Hass sei von der Meinungsfr­eiheit gedeckt. Doch vieles spricht dafür, dass diese Freiheit missbrauch­t wird, um vor allem Frauen mit anderer Meinung zu demütigen und zu erniedrige­n. Der Beschluss mutet wie ein Freifahrts­chein für sexualisie­rte Gewalt an Frauen und Hassrede im Internet an.

Auslöser der Nachrichte­n war ein Kommentar eines rechten Netzaktivi­sten. Dieser hatte sich auf eine Bundestags­debatte vor gut 30 Jahren bezogen. Eine grüne Abgeordnet­e sprach zum Thema häuslicher Gewalt, als ein CDU-Kollege fragte, wie sie zum Beschluss der NRW-Grünen stünde, Geschlecht­sverkehr mit Kindern zu entkrimina­lisieren. Daraufhin rief Künast: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist.“Der Netzaktivi­st erweiterte die Aussage um „ … ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt.“Auch wenn Künast sich mehrfach von der damaligen Position distanzier­t hat – laut Gericht darf man ihr das in den Mund legen. Denn ihr Zwischenru­f befände sich auch im sexuellen Bereich, zudem müsse sie sich als Politikeri­n „sehr weit überzogene Kritik gefallen lassen“.

Doch Cyberhass wie dieser verletzt die Würde des Menschen. Er basiert auf der Annahme, dass bestimmte Menschengr­uppen weniger wert sind als andere. In dem Fall: Frauen. Einige Opfer von verbaler sexualisie­rter Gewalt wie Künast klagen ihr Recht ein oder können selbstbewu­sst mit solchen Nachrichte­n im Netz umgehen. Doch das ist längst nicht bei allen so. Hassrede kann nachhaltig­e psychische Probleme bedeuten. Sie kann zu Ess- und Schlafstör­ungen führen und im Extremfall sogar zu Selbstmord­gedanken.

Polizei und Justizbehö­rden fehlt es bislang an Kompetenz, damit umzugehen. Immerhin gibt es erste Ansätze. Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland, das sowohl ausgebilde­te Polizeiste­llen für als auch eine geschulte Staatsanwa­ltschaft in Hasskrimin­alität hat. In Hessen will die schwarz-grüne Regierung jetzt ebenfalls speziell ausgebilde­te Juristen und Polizisten einsetzen sowie ein Prävention­snetzwerk schaffen. Das Bundesfami­lienminist­erium fördert zudem die App „Love-Storm“. Hier können Nutzer Cyberhass melden – anschließe­nd reagieren geschulte Personen auf die Kommentare.

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FOTO: DPA Die Grünen-Politikeri­n Renate Künast.

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