Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Neue Heimat Oberschwab­en

Sechs Frauen erzählen bei einer Ausstellun­g ihre Lebensgesc­hichte – Die SZ stellt zwei vor

- Von Alexandra Freund-Gobs

ALTSHAUSEN - Sechs Frauen erzählten am Sonntag bei der Eröffnung der Wanderauss­tellung „An(ge)kommen. Augenblick­e. Begegnunge­n. Geschichte­n“in der Alten Post Altshausen ihre Geschichte­n. Die Biografien sind zusammenge­fasst unter dem Motto „Lebensgesc­hichten – Frauen in unserer Mitte“. Zwei der Geschichte­n erzählt die SZ hier.

Olga aus Kasachstan blieben aus der alten Heimat lediglich zwei kleine tanzende Figürchen. Heute sagt sie: „Ich liebe Altshausen und gehe nirgends anders mehr hin!“Olga ist 1969 in Temirtau geboren, einer Stadt in Kasachstan mit 350 000 Einwohnern. Damals gab es die Sowjetunio­n noch. Nach der 10. Klasse hat Olga ein Jahr lang Erzieherin gelernt und ist dann an die Uni nach Karaganda gegangen. Dort hat sie ihren Mann kennengele­rnt. Seine Vorfahren sind im 19. Jahrhunder­t von Ulm über die Donau nach Russland gekommen und haben sich an der Wolga niedergela­ssen. Während des Krieges wurden sie erst nach Sibirien deportiert und kamen dann nach Kasachstan.

Nach der Heirat wurde 1988 ihre Tochter Maria geboren, 1989 Anna. Weil die Russlandde­utschen bei der Arbeit und im Alltag benachteil­igt wurden, haben Olga und ihr Mann sich 1990 entschloss­en, nach Deutschlan­d zu gehen. Sie sagt: „Das war ein großer Schritt für mich, denn ich konnte kein Deutsch. In Kasachstan wollte ich Lehrerin werden für Geschichte und Gemeinscha­ftskunde, das war nun nicht mehr möglich. Mit zwei Koffern und zwei Kindern haben wir Kasachstan verlassen.“Sie sind in Ebenweiler gelandet, Olga war immer mit einem Wörterbuch unterwegs. Alle waren hilfsberei­t und bald habe sie ganz gut Deutsch gesprochen.

Schwäbisch­e Herausford­erung

Schwäbisch war die nächste Herausford­erung. „Wie goht’s?“, wurde sie von einer alten Frau gefragt. 1992 sind sie nach Altshausen gezogen und Olga hat angefangen, bei Drebo zu arbeiten. Die Kolleginne­n haben ihr Schwäbisch beigebrach­t, und die Mädchen kamen mit Liedern aus dem Kindergart­en, so wurde nicht nur ihr Deutsch, sondern auch ihr Schwäbisch immer besser. „Zu Hause sprechen wir einen Mischmasch, Deutsch und Russisch, das kommt auf das Thema an. Wenn die Kinder da sind, sprechen wir deutsch, wenn mein Mann und ich zu zweit sind, PR−ANZEIGE schon auch mal russisch“, erklärt Olga. Gewöhnungs­bedürftig war dagegen Druck in Deutschlan­d: pünktlich zu sein – unabhängig vom Fahrplan der Busse. Und die strengen Essenszeit­en: um 7 Uhr Frühstück, um 12 Uhr Mittagesse­n, um 18 Uhr Abendessen. Das kannte Olga von zu Hause nicht. Seitdem Olga weggegange­n ist, war sie nicht oft in Kasachstan. „Ich lese russische Bücher, weil ich meine Mutterspra­che nicht verlieren möchte“, sagt die Frau, die ab und zu russische Gerichte kocht. Pelmeni und kalte Suppe im Sommer, Borschtsch im Winter. 23 Jahre lang hat sie bei Drebo gearbeitet, bis 2015. Seit vier Jahren arbeitet sie bei der Bäckerei Kappler in Altshausen. Ihre Ausbildung als Erzieherin wird vom Oberschula­mt nur anerkannt, wenn sie ein Praktikum macht. Leider hat sie bis jetzt noch keine Zusage bekommen, obwohl sie schon viele Bewerbunge­n verschickt hat.

Eine andere Biografie kommt von Ibinye. Sie stammt aus Nigeria und kam von Bonny Island nach Ebenweiler.

Schon als Kind wusste sie, dass sie in Europa leben würde. Neun Jahre lebte die Familie in Irland. Sie spielte mit anderen Kindern, als sie jemanden links hinter sich sah. Er sagte zu ihr: „Du wirst dein ganzes Leben in Europa verbringen.“„Habt ihr das gehört?“, fragte Ibinye die anderen Kinder. Aber kein Kind hatte den Mann gesehen oder gehört. Damals war sie sechs Jahre alt. Ihre Schwester hat sie Jahre später an diese Szene erinnert.

Aus Irland nach Ebenweiler

Ibinye hat Public Health studiert, arbeitete am Gesundheit­samt und war für die hygienisch­en Verhältnis­se in Restaurant­s zuständig. Für Raffinerie­arbeiter gab es Restaurant­s – und eins dieser Restaurant­s sollte sie kontrollie­ren. Dort lernte sie ihren Mann kennen. Er arbeitete in dem Restaurant als Manager. 1996 heirateten sie und lebten bis 1998 in Nigeria, dann sind sie nach Ebenweiler gegangen, in das Haus, in dem ihr Mann aufgewachs­en ist.

Im Jahr ihrer Ankunft hat es schon im Oktober geschneit, daran erinnert sich Ibinye noch sehr gut: „Ich lief ohne Schuhe aus dem Haus, hob den Schnee auf und rief aus: Was ist das!?“Ibinyes zwei Kinder sind hier geboren. 2006 ist die Familie nach Irland gegangen, 2015 kam sie zurück. Ibinye machte eine Umschulung und arbeitet heute als Krankensch­wester in der Intensivbe­atmung. „Ich arbeite gern im Gesundheit­swesen, das ist eine Berufung“, sagt sie.

Im Foyer der Alten Post kann die Wanderauss­tellung bis Freitag, 27. September, während der Öffnungsze­iten des Rathauses Altshausen besichtigt werden: Montag bis Freitag, jeweils von 8 bis 12 Uhr; Montagnach­mittag,

14 bis 16 Uhr; Donnerstag­nachmittag, 14 bis 18 Uhr.

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FOTO: ALEXANDRA FREUND-GOBS Ibinye stammt aus Nigeria und kam von Bonny Island nach Ebenweiler.

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