Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Neue Heimat Oberschwaben
Sechs Frauen erzählen bei einer Ausstellung ihre Lebensgeschichte – Die SZ stellt zwei vor
ALTSHAUSEN - Sechs Frauen erzählten am Sonntag bei der Eröffnung der Wanderausstellung „An(ge)kommen. Augenblicke. Begegnungen. Geschichten“in der Alten Post Altshausen ihre Geschichten. Die Biografien sind zusammengefasst unter dem Motto „Lebensgeschichten – Frauen in unserer Mitte“. Zwei der Geschichten erzählt die SZ hier.
Olga aus Kasachstan blieben aus der alten Heimat lediglich zwei kleine tanzende Figürchen. Heute sagt sie: „Ich liebe Altshausen und gehe nirgends anders mehr hin!“Olga ist 1969 in Temirtau geboren, einer Stadt in Kasachstan mit 350 000 Einwohnern. Damals gab es die Sowjetunion noch. Nach der 10. Klasse hat Olga ein Jahr lang Erzieherin gelernt und ist dann an die Uni nach Karaganda gegangen. Dort hat sie ihren Mann kennengelernt. Seine Vorfahren sind im 19. Jahrhundert von Ulm über die Donau nach Russland gekommen und haben sich an der Wolga niedergelassen. Während des Krieges wurden sie erst nach Sibirien deportiert und kamen dann nach Kasachstan.
Nach der Heirat wurde 1988 ihre Tochter Maria geboren, 1989 Anna. Weil die Russlanddeutschen bei der Arbeit und im Alltag benachteiligt wurden, haben Olga und ihr Mann sich 1990 entschlossen, nach Deutschland zu gehen. Sie sagt: „Das war ein großer Schritt für mich, denn ich konnte kein Deutsch. In Kasachstan wollte ich Lehrerin werden für Geschichte und Gemeinschaftskunde, das war nun nicht mehr möglich. Mit zwei Koffern und zwei Kindern haben wir Kasachstan verlassen.“Sie sind in Ebenweiler gelandet, Olga war immer mit einem Wörterbuch unterwegs. Alle waren hilfsbereit und bald habe sie ganz gut Deutsch gesprochen.
Schwäbische Herausforderung
Schwäbisch war die nächste Herausforderung. „Wie goht’s?“, wurde sie von einer alten Frau gefragt. 1992 sind sie nach Altshausen gezogen und Olga hat angefangen, bei Drebo zu arbeiten. Die Kolleginnen haben ihr Schwäbisch beigebracht, und die Mädchen kamen mit Liedern aus dem Kindergarten, so wurde nicht nur ihr Deutsch, sondern auch ihr Schwäbisch immer besser. „Zu Hause sprechen wir einen Mischmasch, Deutsch und Russisch, das kommt auf das Thema an. Wenn die Kinder da sind, sprechen wir deutsch, wenn mein Mann und ich zu zweit sind, PR−ANZEIGE schon auch mal russisch“, erklärt Olga. Gewöhnungsbedürftig war dagegen Druck in Deutschland: pünktlich zu sein – unabhängig vom Fahrplan der Busse. Und die strengen Essenszeiten: um 7 Uhr Frühstück, um 12 Uhr Mittagessen, um 18 Uhr Abendessen. Das kannte Olga von zu Hause nicht. Seitdem Olga weggegangen ist, war sie nicht oft in Kasachstan. „Ich lese russische Bücher, weil ich meine Muttersprache nicht verlieren möchte“, sagt die Frau, die ab und zu russische Gerichte kocht. Pelmeni und kalte Suppe im Sommer, Borschtsch im Winter. 23 Jahre lang hat sie bei Drebo gearbeitet, bis 2015. Seit vier Jahren arbeitet sie bei der Bäckerei Kappler in Altshausen. Ihre Ausbildung als Erzieherin wird vom Oberschulamt nur anerkannt, wenn sie ein Praktikum macht. Leider hat sie bis jetzt noch keine Zusage bekommen, obwohl sie schon viele Bewerbungen verschickt hat.
Eine andere Biografie kommt von Ibinye. Sie stammt aus Nigeria und kam von Bonny Island nach Ebenweiler.
Schon als Kind wusste sie, dass sie in Europa leben würde. Neun Jahre lebte die Familie in Irland. Sie spielte mit anderen Kindern, als sie jemanden links hinter sich sah. Er sagte zu ihr: „Du wirst dein ganzes Leben in Europa verbringen.“„Habt ihr das gehört?“, fragte Ibinye die anderen Kinder. Aber kein Kind hatte den Mann gesehen oder gehört. Damals war sie sechs Jahre alt. Ihre Schwester hat sie Jahre später an diese Szene erinnert.
Aus Irland nach Ebenweiler
Ibinye hat Public Health studiert, arbeitete am Gesundheitsamt und war für die hygienischen Verhältnisse in Restaurants zuständig. Für Raffineriearbeiter gab es Restaurants – und eins dieser Restaurants sollte sie kontrollieren. Dort lernte sie ihren Mann kennen. Er arbeitete in dem Restaurant als Manager. 1996 heirateten sie und lebten bis 1998 in Nigeria, dann sind sie nach Ebenweiler gegangen, in das Haus, in dem ihr Mann aufgewachsen ist.
Im Jahr ihrer Ankunft hat es schon im Oktober geschneit, daran erinnert sich Ibinye noch sehr gut: „Ich lief ohne Schuhe aus dem Haus, hob den Schnee auf und rief aus: Was ist das!?“Ibinyes zwei Kinder sind hier geboren. 2006 ist die Familie nach Irland gegangen, 2015 kam sie zurück. Ibinye machte eine Umschulung und arbeitet heute als Krankenschwester in der Intensivbeatmung. „Ich arbeite gern im Gesundheitswesen, das ist eine Berufung“, sagt sie.
Im Foyer der Alten Post kann die Wanderausstellung bis Freitag, 27. September, während der Öffnungszeiten des Rathauses Altshausen besichtigt werden: Montag bis Freitag, jeweils von 8 bis 12 Uhr; Montagnachmittag,
14 bis 16 Uhr; Donnerstagnachmittag, 14 bis 18 Uhr.