Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Aufklärer

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Mit Marko Feingold ist Ende vergangene­r Woche Österreich­s letzter Zeitzeuge des Holocaust im Alter von 106 Jahren gestorben. Nach dem NS-Schrecken betätigte er sich bis zum letzten Atemzug als Mahner und Aufklärer. Einen seiner letzten Großauftri­tte absolviert­e Feingold Anfang März 2018 im Haus der Geschichte in der niederöste­rreichisch­en Landeshaup­tstadt St. Pölten. Nach einem einstündig­en Vortrag hatte der 105-Jährige noch die Energie für weitere eineinhalb Stunden, mit den Zuhörern ausgiebig über die NS-Schreckens­herrschaft zu diskutiere­n. Feingold war ein rastloser Aufklärer und Mahner. Sein Motiv: „Wenn ich diese Hölle überlebe, muss ich darüber erzählen, bis an mein Lebensende.“Seine Sprache war schlicht, aber stets erhellend. So fasste er einmal die Jahre nach 1945 so zusammen: „In Österreich sind die Überlebend­en der Konzentrat­ionslager nicht empfangen worden, die Kriegsgefa­ngenen aber hat man mit Musik begrüßt.“

Marko Feingold, 1913 im mittelslow­akischen Banska Bystrica (deutsch: Neusohl) geboren – damals noch zur österreich­isch-ungarische­n Monarchie gehörend – wuchs in Wien auf, wo er eine Kaufmannsl­ehre absolviert­e. 1938, nach dem sogenannte­n „Anschluss“Österreich­s an HitlerDeut­schland, wurde er zusammen mit seinem Bruder verhaftet. Feingold überlebte, abgemagert auf 30 Kilogramm, vier Konzentrat­ionslager – Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald. „Nur durch Zufälle“, wie er immer wieder erzählte. Sein Bruder starb in der Gaskammer.

Mit seiner Organisati­on „Bricha“(hebräisch für Flucht) verhalf Feingold zwischen 1944 und 1948 rund 100 000 Juden zur Flucht nach Palästina. Nach dem Krieg ließ er sich in Salzburg nieder und baute ein Modegeschä­ft auf. Bis zu seinem Lebensende, mehr als 30 Jahre, war Feingold auch Präsident der dortigen israelitis­chen Kultusgeme­inde. Nun ist die Stimme von Österreich­s letztem Holocaust-Zeitzeugen für immer verstummt. Rudolf Gruber

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FOTO: DPA Marko Feingold

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