Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mexiko-Reise gegen den Pflegenotstand
Gesundheitsminister Spahn wirbt in weit entfernten Ländern um Fachkräfte – Dafür gibt es mehrere gute Gründe
MEXIKO-STADT - Es war ein weiter Weg für eine wichtige Sache. Für einen Tag reiste Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag über den Atlantik, um in Mexiko für das deutsche Gesundheitssystem dringend benötigte Pflegekräfte anzuwerben. Für Mexiko und Deutschland könne das eine Win-win-Situation sein, sagte Spahn. Deutschland, nach Japan das zweitälteste Land der Welt, habe einen riesigen Bedarf an Pflegekräften. Und Mexiko, ein extrem junges Land, hat viele Krankenund Altenpfleger, die nach der Ausbildung keinen Job finden. Entweder fehlt es an Geld oder an Arbeitsplätzen. Spahn wollte sich nicht auf eine Zahl an mexikanischen Kräften festlegen, die im Rahmen dieser Anwerbung nach Deutschland kommen sollen. „Wir können so viele Arbeitskräfte gebrauchen, dass ich mich über jede Hundert, jede Tausend freue, die sich aus anderen Ländern entscheiden, zu uns zu kommen.“
Spahn unterschrieb in Mexiko eine Absichtserklärung mit der Deutsch-Mexikanischen Handelskammer CAMEXA. Sie soll die Anwerbung der Pflegekräfte unter einer zu gründenden Dachgesellschaft steuern. Dabei geht es um die Anerkennung der Ausbildung und die vereinfachte Ausstellung der entsprechenden Visa. Es solle eine Art „FastTrack-Verfahren“etabliert werden, sagte Spahn.
Zunächst aber lud der Minister 15 mexikanische Pflegeausbilder für November nach Deutschland ein, wo sie sich mit dem Kranken- und Pflegesystem vertraut machen sollen. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat Mexiko eine qualitativ hochwertige Pflegeausbildung. Allerdings ist diese in dem lateinamerikanischen Land im Wesentlichen akademisch ausgelegt, während sie in Deutschland stark praxisorientiert ist.
Spahn beklagt das Fehlen von 50 000 bis 80 000 Arbeitskräften in den Pflegeberufen in Deutschland. Das seien offene und finanzierte Stellen, die nicht besetzt werden können, „weil der Markt leergefegt ist“. Daher schaut sich der Gesundheitsminister seit einiger Zeit im Ausland nach Abhilfe um. Im Kosovo und auf den Philippinen hat das Ministerium dieses Jahr bereits Anwerbeabkommen unterzeichnet.
Auch mit Mexiko gibt es schon eine Kooperation im Medizinsektor, die allerdings über die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit läuft. Rund einhundert Alten- und Krankenpfleger sind bereits in Deutschland tätig. Ende der Woche kamen zudem die ersten vier Ärzte im Rahmen des gleichen Programms der Bundeagentur nach Sachsen-Anhalt.
In Deutschland sei die Anstrengung für die Ausbildung in den Pflegeberufen intensiviert worden, versicherte der Gesundheitsminister. „Wir bilden so viele Kräfte aus wie nie“, unterstrich der Minister. Zudem sei die Ausbildung attraktiver gemacht worden. Das Schulgeld wurde abgeschafft, ab dem ersten Lehrjahr wird eine Ausbildungsvergütung von 1000 Euro gezahlt. „Dennoch werden wir Fachkräfte aus dem Ausland brauchen“, betonte Spahn.
Enge Kooperation seit Jahren
In Lateinamerika sei die Wahl auf Mexiko auch deshalb gefallen, weil es seit vielen Jahren eine enge, vor allem wirtschaftliche Kooperation mit Deutschland gibt. Insgesamt 467 000 Schwestern und Pfleger arbeiten in Krankenhäusern und der Altenpflege. Aber dennoch liegt das Land bei der Pflege deutlich unter dem Schnitt der OECD-Staaten. Während in den Ländern der Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) 7,4 Pflegekräfte auf 1000 Patienten kommen, sind es in Mexiko gerade einmal 2,5.
Daher herrscht auch im zweitgrößten Land Lateinamerikas ein Pflegenotstand, allerdings anderer Art. Es gibt genügend junge Leute, die sich für den Beruf entscheiden, diese können jedoch zu wenig hinterher im Markt untergebracht werden. Es fehle an Krankenhäusern oder auch schlicht am notwendigen Geld, um Pflegefachkräfte einzustellen, sagt Francisco de la Cruz vom mexikanischen Roten Kreuz. Daher sei es eine gute Idee, dass die ausgebildeten Schwestern und Pfleger für eine Zeit ins Ausland gehen. Dort könnten sie sich weiterbilden und dann nach Mexiko mit verbesserter Ausbildung zurückkehren, so Cruz.