Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der erste Deutsche im All ist tot
Sigmund Jähn mit 82 Jahren gestorben – Der Kosmonaut war gefeierter DDR-Held
BERLIN (dpa) – Es sind knapp acht Tage im Sommer 1978, die das spätere Leben von Sigmund Jähn prägen sollen: Am 26. August startet der DDR-Kosmonaut vom Weltraumbahnhof Baikonur mit der Raumkapsel „Sojus 31“zur Orbitalstation Saljut 6. Gemeinsam mit dem sowjetischen Kommandanten Waleri Bykowski (1934-2019) verbringt er 7 Tage, 20 Stunden und 49 Minuten im All und umkreist die Erde dabei 125 Mal die Erde.
Nach seiner Rückkehr am 3. September ist der Raumfahrer in der DDR ein gefeierter Held – und der erste Deutsche im All. In der DDR kannte jedes Kind seinen Namen. Viele wollten wie er Kosmonaut werden, schwerelos im All schweben und die Erde aus dieser Perspektive beobachten. Doch Jähn blieb trotz seiner Berühmtheit und Verdienste sein Leben lang bescheiden.
Der am 13. Februar 1937 in der sächsischen Kleinstadt Morgenröthe-Rautenkranz geborene Sigmund Werner Paul Jähn hatte ursprünglich Buchdrucker gelernt, ging dann zur Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) und wurde Jagdflieger. Fliegen war seine Leidenschaft. 1976 wurde er von der DDR als einer von vier Kandidaten für einen sowjetischen Weltraumflug ausgewählt.
Die harte Vorbereitung lief im Sternenstädtchen bei Moskau. Um sich an die Schwerelosigkeit zu gewöhnen, erhöhte er das Ehebett – seine Frau war damals dabei – mit Büchern so, dass seine Beine höher lagen. Später berichtete er auch von endlosen Runden auf einem Drehstuhl. „Manchen fällt dabei das Essen aus dem Gesicht“, gab er zu.
An Bord von Saljut 6 standen viele Experimente auf dem Plan, unter anderem zu Medizin, Biologie und Materialwissenschaft.
Jähn machte Aufnahmen mit der Multispektral-Fotokamera MKF-6, stempelte aber auch Briefe mit Sonderbriefmarken ab. „Eine Woche lang verloren die Gesetze der Schwerkraft scheinbar ihre Wirkung, war es völlig gleichgültig, ob ich mit dem Kopf nach „oben“oder nach „unten“hing“, schrieb er im Buch „Erlebnis Weltraum“.
Am 3. September kehrten Jähn und sein Kollege Bykowski wohlbehalten zur Erde zurück: Ihre Kapsel landete in der kasachischen Steppe. Fortan reiste der zurückhaltende Jähn durch die DDR, von der Führung als Vorbild und Symbol der Überlegenheit des Sozialismus präsentiert. Sein Konterfei zierte eine Briefmarke, kam auf eine Gedenkmünze, Schulen und Kindergärten wurden nach ihm benannt. Freunde berichteten später, dass ihm das Brimborium um seine Person nicht behagte. In den Augen vieler Ostdeutscher gewann er dadurch noch mehr Sympathien. Erst 1983 folgte der Astronaut Ulf Merbold als zweiter Deutscher ins All.
Nach dem Mauerfall arbeitete er für das DLR und die Europäische Weltraumorganisation (Esa) und bildete europäische Astronauten im russischen Sternenstädtchen aus. Bis ins hohe Alter ließ ihn die Faszination für die Raumfahrt nicht mehr los. Zu seinem 75. Geburtstag sagte er, dass er sich sofort noch einmal auf die Reise machen würde.
Im Juni 2018 kehrte er noch einmal nach Baikonur zurück, von wo er 40 Jahre zuvor ins All gestartet war. Dort fieberte er mit beim Raketenstart seines Freundes Alexander Gerst. Der hatte ihn als besonderen Gast zum Start selbst eingeladen. „Ich bewundere Gerst, weil er über den Dingen steht“, lobte Jähn. In den 40 Jahren seit seiner Mission habe sich viel geändert in der Branche. Der Veteran sah in „Astro-Alex“einen würdigen Nachfolger.
Am wohlsten fühlte sich der heimatverbundene Jähn, der verheiratet war und zwei Töchter hatte, im Vogtland. Zuletzt lebte er im brandenburgischen Strausberg bei Berlin. Dort starb der bodenständige Raumfahrer am Samstag im Alter von 82 Jahren.