Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kultur leben
Vor 450 Jahren starb Pieter Bruegel der Ältere. Mehr noch als Hieronymus Bosch, Jan van Eyck und Pieter Bruegel der Jüngere veränderte er mit einem frühen Naturalismus die Kunst – ein schonungsloser Blick auf eine von Krieg, Gier, Ausbeutung zerrissene Gesellschaft. Eine der berühmtesten Figuren ist die „Dulle Griet“, eine Vorgängerin der Brechtschen Marketenderin Mutter Courage. Ein kühnes Unterfangen der Wangener Literatin Claudia Scherer, sich ihr anzunähern, sie von der Kriegsgewinnlerin in eine Friedenskämpferin zu verwandeln, sie in raffinierten Collagen mit heutigen Frauen zu verkoppeln. Claudia Scherer zeigt ihr Talent als Künstlerin. Bis 16. Oktober im Heilig-Geist-Spital Ravensburg.
Mehrfach schon stellten die Ravensburger Kammersolisten Literatur und Musik von Sinti, Roma und Juden vor. Am 28. September, 19 Uhr im Theater Ravensburg, in kammermusikalischer Besetzung den Librettisten und Lyriker Fritz Löhner-Beda. Für die Wiener Kabarettszene verfasste er Songs wie „Ausgerechnet Bananen“, er kooperierte mit dem Regisseur Fritz Lang, doch er war auch Pazifist der ersten Stunde und schrieb Lieder gegen den Krieg und über den Faschismus: das Buna-Lied über die Vernichtungs-Arbeit in den Buna-Werken und das Buchenwald-Lied „O Buchenwald, Um Freiheit geht es auch in der Wanderausstellung „An(ge)kommen“, entstanden mit dem Stuttgarter Forum der Kulturen, badenwürttembergischen Kommunen und Vereinen. Fluchtgeschichten, Fluchtursachen am Beispiel von etwa 30 ganz unterschiedlichen Biografien, wobei die Zahl sich ändern kann, wenn an einer Station Flüchtlinge „angekommen“, im besten Falle integriert sind und Bleiberecht haben und bereit sind, ihre Geschichten öffentlich zu machen. So in Altshausen und benachbarten Kommunen des Landkreises. Und es waren welche bereit. Mit sechs geflohenen Frauen aus fünf Ländern, die bleiben durften, Arbeit haben, sich weiterbilden, sich sozial engagieren, führte die Ravensburger Autorin Katrin Seglitz sensible Gespräche. Über ihre oft traurigen Erinnerungen, ihr Heimweh und dass sie diese Region als neue Heimat empfinden. Berührend alle „Fahnen“mit den sanften, optimistischen Portraitfotos der Tübinger Fotografin Natalia Zumarán, den knappen und dennoch diese komplexen und komplizierten Geschichten erklärenden Texten. Umso mehr begreift man über die ungekürzten Gespräche von Katrin Seglitz in einer kleinen Broschüre den Mut, die Kraft, die erlittenen Schmerzen der sechs „oberschwäbisch“gewordenen Frauen aus Nigeria, Syrien oder Kasachstan. Eine bewegende und eine politisch notwendige Ausstellung. Wenn jüngst in einem Interview selbst der ehemalige ZDF-Redakteur Peter Hahne, der biedere, auch ungefragt sein Christentum zelebrierende Sympathieträger, beklagt, man habe seine Warnung nicht hören wollen, dass mit diesen Flüchtlingen auch „Kriminelle“kämen und statt der „richtigen“auch Wirtschaftsflüchtlinge. Diese Töne unterscheiden sich nicht von Rechtspopulisten. Denn weder ist dieses Land von kriminellen Afrikanern und Syrern bedroht, noch sind Altersarmut und Arbeitslosigkeit durch sie verursacht. Und in der gesamten europäischen Geschichte finden sich Millionen von „unseren“Wirtschaftsflüchtlingen, die, wo sie sich ansiedelten, ja bekannterweise den „Ureinwohnern“nur Gutes brachten. „Angekommen“ist noch bis 27. September im Neubau des Rathauses Altshausen zu den Bürozeiten zu sehen.
wolfram.frommlet@t-online.de