Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Zurück in die Zukunft
Augsburgs Niederlechner raubt seiner alten Liebe den Sieg, bleibt aber Freiburg-Fan
FREIBURG - Wenn ein Mensch in seine alte Heimat kommt und dort eine gute Zeit hatte, kann er schon mal vor Wiedersehensfreude euphorisch werden. Florian Niederlechner, Fußballstürmer und Familienvater in Diensten des FC Augsburg, ist ein gutes Beispiel. Als der 28-Jährige am Samstag nach dreieinhalb Jahren SC Freiburg und drei Monaten FCA wieder das Schwarzwaldstadion betrat, ging ihm das Herz auf – und offenbar kamen alles Ephedrin, Dopamin und Adrenalin in seinem Körper auf einmal hoch. „Der war richtig aufgezogen – wie ein Kind an Weihnachten“, sagte Trainer Martin Schmidt nach dem 1:1 lächelnd und erzählte, Niederlechner habe sich nach der Ankunft des Teambusses „wie ein Expeditionsleiter“verhalten. „Er hat jeden begrüßt, er hat uns alles erklärt, wo was ist. Irgendwann habe ich ihm gesagt: Jetzt Konzentration! Du hast nachher ein wichtiges Spiel. Krieg dich ein bisschen ein.“
Stattdessen gelang es Niederlechner, die Euphorie mit ins Spiel zu nehmen. Er kämpfte, er rackerte, er schoss das Tor zum 1:1 (39.), und am Ende half er mittels Grätschen, das Remis zu verteidigen. Einmal pflügte er die Grasnarbe derart um, dass Boden und Büschel im hohen Bogen durch die Luft flogen. Sorgsam, fast wie ein Landschaftsgärtner, setzte er die Flora danach wieder in ihr Bett. „Sollte ich mal ein Haus bauen, werde ich die Grünanlagen selbst in die Hand nehmen“, sagte er später im Spaß, denn von den Freiburger Fans gab es großen Applaus für die Aktion. Vielleicht auch, weil Niederlechner nach seinem Tor in Erinnerung „an eine Zeit mit wunderschönen Erlebnissen und vielen Erfolgen“nicht gejubelt hatte. „Ich habe allen hier so viel zu verdanken, darum habe ich mir vorgenommen – das gehört sich so im fremden Stadion –, dass ich nicht juble“, sagte er. Und gab zu, dass er vor Anpfiff doch etwas neben sich stand: „Ich wollte schon in die Freiburg-Kabine laufen.“
Warum dieser Florian Niederlechner überhaupt fortzog, wenn er Freiburg so lieb hat(te)? Ganz einfach: Der Bayer aus Ebersberg bei München war nur die Nr. 3 bis 4 im Sturm hinter Nils Petersen, Neu-Nationalspieler Luca Waldschmidt (der Samstag erst in der 74. Minute kam) und Nicolas Höfler, er hatte etwas Sehnsucht nach der alten Heimat, und als der FCA anrief, lag die Entscheidung nahe, den Club schweren Herzens zu verlassen. Der Schritt hat sich gelohnt. Niederlechner ist in der Form seines Lebens, hat den Österreicher Michael Grigoritsch verdrängt und Alfred Finnbogason als FCA-Topstürmer abgelöst. Sein Tor war bereits sein fünfter Scorerpunkt in dieser Saison (drei Treffer, zwei Assists), damit ist er mit Timo Werner der gefährlichste Deutsche in der Liga. „Ich steche nicht heraus. Ich habe einfach eine super Mannschaft hinter mir. Wenn Jan Moravek den Pass nicht spielt, kann ich das Tor nicht machen. Ich bin einfach fit, bin gesund, das ist das Wichtigste“, sagte Niederlechner bescheiden. „Danke, dass er hier spielen durfte“, fügte Schmidt am Ende einer humorvollen Pressekonferenz, in der er sogar eine Einlage auf Schwyzerdütsch gab, noch an. Eine Spitze gegen Hoffenheim, das dem FreiburgRückkehrer Vincenzo Grifo ja aus Angst in der Vorwoche vertraglich ein Spielverbot verhängt hatte – und zur Strafe eine 0:3-Pleite kassierte.
„Ich weiß, wer wir sind“
Der Punkt war am Ende übrigens sehr glücklich für die kämpferisch überzeugenden Gäste. Höfler und Petersen trafen kurz vor Schluss den Pfosten, Augsburgs Keeper Tomas Koubek wuchs über sich hinaus.
Fünfzehn Minuten lang war der beschwingte SC nach dem 1:0 durch Lucas Höler (23.) sogar Tabellenführer gewesen, „Spitzenreiter, Spitzenreiter“skandierten die Fans, es hätte der perfekte Tag aus Breisgau-Sicht werden können. Am Ende aber musste SCTrainer Christian Streich einsehen, dass auch im Schwarzwald „die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Ich weiß, wer wir sind, was wir können und was wir nicht können.“Jedenfalls kann Freiburg nicht immer effizient sein. „Vor dem Spiel waren wir Erster in der Effizienztabelle, jetzt sind wir vermutlich Zehnter“, sagte Streich.
Niederlechner machte einen Strich durch Streichs Rechnung. Dass ExSpieler wie er aufgrund der dort gelebten Menschlichkeit und Empathie gern nach Freiburg zurückkehren, geriet diesmal also zum Nachteil. Streich nahm’s locker: „Das Tor hätte Florian nicht machen müssen, aber wenn's denn sein muss, dann ist es auch okay.“