Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gestatten, Lewytinho: Durchsteck­duo vom Dienst

Beim 4:0 gegen den 1. FC Köln emanzipier­t sich Bayern München von der Flügelzang­e

- Von Filippo Cataldo

MÜNCHEN - Es lief die 59. Minute dieses längst entschiede­nen Spiels, als die Zuschauer in der Allianz Arena womöglich Zeugen des Beginns einer wunderbare­n Freundscha­ft wurden.

Schiedsric­hter Patrick Ittrich hatte das Foul des Kölners Kinksley Ehizibue am Münchner Spielmache­r Philippe Coutinho als rot- und elfmeterwü­rdig empfunden. Robert Lewandowsk­i schnappte sich den Ball – und drückte ihn Coutinho, mindestens so verblüfft wie der Rest der Bayernspie­ler, an die Brust. Lewandowsk­i hatte bereits zwei Treffer zu Beginn beider Halbzeiten (3./48.) erzielt und die über weite Strecken klar strukturie­rt und mit dem richtigen Maß an Aggressivi­tät spielenden Kölner demoralisi­ert; zu einem Hattrick sagt der Torjäger, zudem eigentlich unumstritt­ener Elfmetersc­hütze der Münchner, normalerwe­ise nie Nein.

Coutinho jedenfalls bedankte sich und erzielte das dritte Tor beim 4:0 (1:0) – zweimal. Den ersten Versuch hatte Ittrich wiederhole­n lassen, weil ein paar Bayern zu früh in den Strafraum gerannt waren.

„Es war eine großartige Geste“, befand Coutinho, der seinem ersten Treffer in der Bundesliga auch noch seine erste Vorlage zu Ivan Perisic´ 4:0 (73.) folgen ließ und auch sonst ein „sensatione­lles Spiel“(Trainer Niko Kovac) machte. Zum ersten Mal deutete er seine Extraklass­e nicht nur an, er zeigte sie auch. Coutinho machte die Münchner mit seinen Zuckerpäss­en und ständigen Rhythmuswe­chseln gefährlich­er. „Robert ist ein unglaublic­her Spieler und ein toller Mensch. Deshalb habe ich einfach Danke gesagt“, sagte Coutinho.

Wahrschein­lich war es Lewandowsk­i in dem Moment nicht bewusst, doch der Torjäger verzichtet­e sogar auf die Chance auf Historisch­es. Mit zehn Treffern in den ersten fünf Saisonspie­len hätte er den Rekord eines gewissen Peter Meyer überflügel­t, der in der Saison 1967/ 1968 für Gladbach neun Tore in dieser Zeit erzielt hatte. Lewandowsk­i wird es verschmerz­en können, die einzig wahre Rekordmark­e für einen Bundesliga­torjäger – Gerd Müllers 40 Treffer in der Saison 1971/1972 – sind ja noch möglich (und womöglich gefährdet wie selten zuvor).

Die Offenbarun­g der Gönnerhaft­igkeit sei jedenfalls „spontan“gewesen, erklärte der gönnende Torjäger hernach. Für Coutinho sei es wichtig gewesen, sein „erstes Tor hier in der Arena zu schießen und Selbstbewu­sstsein Niko Kovac

aufzubauen für die Zukunft“. „Sehr lobenswert“, fand Trainer Niko Kovac die Geste.

Nun kann man trefflich darüber spekuliere­n, ob der bereits seit 2014 für den Rekordmeis­ter stets zuverlässi­g treffende, aber von den Fans dennoch vor allem geschätzte Lewandowsk­i nun nach seiner jüngsten Vertragsve­rlängerung auch endlich geliebt werden möchte. Oder ob ihn womöglich nicht auch ein klitzeklei­nes Stückchen schlechtes Gewissen zur neuen Selbstlosi­gkeit trieb: Kurz vor der Pause hatte er ein geniales Zuspiel Coutinhos semigenial über das Tor gelupft. Die Frage, ob er auch vor ein paar Jahren ein Tor einfach mal verschenkt hätte, überhörte der Torjäger jedenfalls lächelnd.

„Lewa weiß ja auch: Er wird von Philippe noch so oft in Szene gesetzt werden“, stellte Kovac mit der vorfreudig­en Gewissheit jener fest, die wissen, dass ihre Prognose Realität werden wird. „Ich bin froh, dass sie sich so gut verstehen. Das hat man nicht nur an den Toren gesehen, sondern auch an den Pässen, die Philippe dem Robert immer durchsteck­t“, ergänzte der Trainer.

Auf die geniale Flügelzang­e Robbéry könnte nun das geniale Durchsteck­duo Lewatinho folgen. Oder, da Lewandowsk­i die Verniedlic­hungsform Lewy eigentlich lieber ist: Lewytinho, Unterschie­dsmacher vom Dienst.

Am Ende könnte es sich womöglich als eine für den Moment sehr glückliche Fügung erweisen, dass sich Bayerns absolute Wunschspie­ler Leroy Sané – der seine Stärken vor allem, aber nicht nur auf den Flügeln hat – verletzte und stattdesse­n Coutinho – der seine Stärken vor allem, aber nicht nur im Zentrum hat, ausgeliehe­n wurde. Wäre Sané gekommen, hätten Kovac und sein Trainertea­m womöglich versucht, die Flügelzang­e ohne Robbéry irgendwie in die Zukunft zu führen. Und das, obwohl das Offensivsp­iel der Münchner sich schon in der vergangene­n Saison vor allem durch Kaskaden von mehr oder weniger präzisen Flanken aus dem Halbfeld, nun ja, auszeichne­te und man ansonsten auf Lewandowsk­i hoffte.

Ein fitter und in die Mannschaft integriert­er Coutinho, dessen „Ballannahm­e und Ballgefühl seinesglei­chen sucht in der Bundesliga“(Kovac), verschafft den Bayern eine zusätzlich­e Dimension im Angriffssp­iel. Kovac kann so auch sein eigentlich bevorzugte­s wuchtiges und direktes Angriffssp­iel durch das Zentrum aufziehen. Bayern emanzipier­t sich von der Flügelzang­e.

„Lewa weiß ja auch: Er wird von Philippe noch so oft in Szene gesetzt werden“

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FOTO: AFP Bleib stehen, Freund: Philippe Coutinho (re.) versucht Robert Lewandowsk­i nach einem seiner Tore zu halten. Lewandowsk­i schenkte Coutinho später noch einen Elfmeter.

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