Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Selbsttötung darf kein Geschäft werden“
Als Christ und als Jurist schaut CDU-Politiker Axel Müller unterschiedlich auf die Entscheidung zur Sterbehilfe
RAVENSBURG - Als Jurist, katholischer Christ und CDU-Bundestagsabgeordneter hat Axel Müller verschiedene Sichtweisen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe. Als ehemaliger Richter versteht er die Entscheidung, das Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe zu kippen. Als Christ lehnt er sie persönlich für sich ab. Und als Rechtspolitiker im Bundestag hat er nun mit den Folgen zu tun. Mit dem Politiker aus Weingarten sprach Klaus Wieschemeyer.
Herr Müller, das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe aufgehoben. Sie waren selbst lange Richter, unter anderem in Ravensburg und Tettnang. Hätten Sie anders entschieden?
Als Jurist habe ich erwartet, dass die Richter so entscheiden werden. Wenn das Gericht das selbstbestimmte Sterben als wichtigen Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wertet, sind damit die ersten beiden Artikel des Grundgesetzes betroffen, also die Würde des Menschen und die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Als Christ tue ich mich mit dieser Entscheidung dagegen schwer. Allerdings muss ich zugeben, dass ich noch nie in einer solchen persönlichen Ausnahmesituation war.
Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen den Freiheitsrechten des Einzelnen und den Rechten des Staates. Bei zentralen Freiheitsrechten muss der Staat sich zurücknehmen und hat nicht einzugreifen. Dazu zählt das Gericht die Entscheidung, ob jemand sterben möchte.
Sehen Sie in der Entscheidung wie Jüsten eine Zäsur?
Nein, denn wir hatten in dieser Angelegenheit im Grunde genommen schon immer ein recht liberales Strafrecht. Die Beihilfe zur Selbsttötung war schon früher nicht strafbar, sondern nur die Tötung auf Verlangen.
Der Gesetzgeber hat dann 2015 den Paragraph 217 Strafgesetzbuch geschaffen, um den Sterbehilfevereinen einen Riegel vorzuschieben.
Das ist jetzt gescheitert. Die AfDPolitikerin Beatrix von Storch sieht damit gar das Tor zu einer „Kultur des Tötens“in Deutschland aufgestoßen …
Um im Bild zu bleiben: Es wurde kein Tor geöffnet. In der letzten Wahlperiode wurde vielmehr ein Türchen, das bereits geöffnet war, mit dem Paragrafen 217 verschlossen. Nun haben die Richter gesagt: Das Türchen muss geöffnet bleiben. Die Entscheidung bedeutet, dass Vereine andere bei der Umsetzung eines solchen Entscheides unterstützen dürfen. Doch weder muss der Staat dies aktiv fördern noch können Ärzte in die Pflicht genommen werden, beim Suizid zu helfen.
Doch geschäftsmäßige Sterbehilfe ist nun ausdrücklich erlaubt.
Es gibt einen Unterschied zwischen geschäftsmäßiger und gewerbsmäßiger Sterbehilfe. Das erste umfasst Vereine, die ohne Gewinnabsicht beraten. Wir müssen nun verhindern, dass aus geschäftsmäßig gewerbsmäßig wird. Aus der Absicht zur Selbsttötung darf kein Geschäft werden.
Was wird der Bundestag jetzt machen?
Ich gehe davon aus, dass wir noch in dieser Legislaturperiode eine Neufassung auf den Weg bringen. Da warten wir nun auf eine Einschätzung des Justizministeriums. Der Paragraph 217 ist hinfällig, das müssen wir jetzt reparieren. Wir sollten dabei sicherstellen, dass der Lebensschutz gewahrt bleibt. Die Sterbehilfe-Vereine haben eine hohe Verantwortung, dass sich nur Menschen in freier Selbstbestimmung und bei klarem Verstand zu diesem Schritt entschließen.