Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
In weniger als einer Minute zum Aschekreuz
Katholische Gemeinde erregt mit „To-go“-Angebot auch bei Kirchenfernen Aufmerksamkeit
RAVENSBURG - Der Aschermittwoch ist für Ralf Reiter schon seit seiner Kindheit ein Fixpunkt im Kirchenjahr. Er lässt sich in seiner Mittagspause das Aschekreuz in der Ravensburger Kirche St. Jodok auf die Stirn zeichnen. Die Aktion Aschekreuz to go (deutsch: zum Mitnehmen) macht es möglich. Die katholische Kirchengemeinde in der Innenstadt hat Menschen dazu eingeladen, zwischen 12 und 17 Uhr vorbeizukommen und sich das Aschekreuz, eine Tradition zu Beginn der Fastenzeit, quasi abzuholen. Unter der Woche hat Reiter als Berufstätiger kaum Möglichkeiten, am kirchlichen Leben teilzunehmen, wie er sagt. Deshalb gefällt ihm das neue Angebot. „Das gibt meinem Aschermittwoch heute was Besonderes“, sagt er.
In der Diözese Rottenburg-Stuttgart gibt es nach Kenntnis von Markus Waggershauser aus der Pressestelle der Diözese keine andere Gemeinde, die ein Aschekreuz to go anbietet. Er kenne das Konzept aber aus Nordrhein-Westfalen, wo das Aschekreuz zum Teil sogar auf dem Marktplatz verteilt werde. Er findet es richtig, dass die Kirche durch moderne Angebote, die zum Arbeitsalltag passen, auf Menschen zugeht. „Die Kirche ist nicht zur Selbsterhaltung da, sondern für die Menschen“, sagt Waggershauser.
Gemeindereferentin Christine Mauch freut sich, dass viele Menschen zu ihrer Aktion in die Kirche kommen, die sie nicht aus der Gemeinde kennt. An zwei Stehtischen sprechen Ehrenamtliche mit den Besuchern, so lange es eben sein soll und passt, und zeichnen ihnen das Aschekreuz auf die Stirn oder auf die Handfläche. „Ich glaube, den persönlichen Zuspruch schätzen die Menschen“, sagt sie. Es ist ein Kommen und Gehen. Eine Besucherin, die sich das Aschekreuz auf die Stirn zeichnen ließ, verlässt die Kirche nach einer Minute wieder. Auch eine Frau, die bereits aus der katholischen Kirche ausgetreten ist und mit ihrem Mann für einen Tag zu Besuch in Ravensburg ist, sitzt auf einer Bank, und trinkt einen Tee. Ihr gefällt die Idee Aschekreuz to go und die offene Kirche ohne üblichen Kirchenbänke – St. Jodok ist vor knapp einem Jahr nach der Sanierung in einer neuen und sehr reduzierten Gestaltung wiedereröffnet worden.
Karl Wittich ist aus der Weststadt extra zur Aktion zur Kirche St. Jodok in der Innenstadt gekommen – seiner Kirche. Er ist in der Unteren Breiten Straße aufgewachsen, war Ministrant in St. Jodok und erinnert sich an viele Aschermittwochgottesdienste, bei denen den Gläubigen damals Asche auf den Kopf gestreut wurde. Auch wenn ihm die modernen Formen – egal, ob die Kirche ohne Bänke oder das Aschekreuz to go – nicht so gut gefallen, fühlt er sich mit dem Gotteshaus immer noch verbunden.
Christa Stierle hat beim Verlassen der Kirche die Hand geschlossen, als ob sie etwas Wertvolles darin festhält: Es ist das Aschekreuz, das sie sich auf die Handfläche hat zeichnen lassen. Die Aktion findet sie zeitgemäß, weil viele Menschen nicht die Zeit hätten, unter der Woche in den Gottesdienst zu gehen. „Ich finde es bedauerlich, aber es ist so“, sagt sie. Sich das Aschekreuz zu holen, gehöre für sie zum Aschermittwoch dazu. „Das erinnert mich an meine Vergänglichkeit, mein Gastsein auf Erden“, sagt Stierle. Auch die Fastenzeit begeht sie bewusst: Sie verzichtet auf Alkohol und Schokolade und versucht, weniger fernzusehen – „um es hinterher wieder umso mehr genießen zu können“, sagt Stierle.