Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Sachliche Töne statt Phrasendrescherei
Agrarthemen und Rassismusdebatte bestimmten Politischen Aschermittwoch der Grünen
BIBERACH - Rund 800 Menschen beim Politischen Aschermittwoch der Grünen in der Gigelberghalle, mehrere Hundert bei einer Versammlung der Bauern-Initiative „Land schafft Verbindung“(siehe Bericht unten): Auf dem Biberacher Gigelberg war am Mittwoch einiges geboten. Im Mittelpunkt bei beiden Veranstaltungen standen Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock.
„Man spürt, dass hier das Herz der grünen Politik schlägt“, sagte Baerbock nach ihrem Premierenauftritt beim Verlassen der Halle, nachdem sie Autogramme geschrieben und unzählige Fotowünsche erfüllt hatte. Der eine oder die andere unter den Besuchern schien sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen zu wollen, nachdem ihr sowohl Moderator und Aschermittwochs-Begründer Eugen Schlachter und auch Ministerpräsident Kretschmann indirekt das Zeug zur Bundeskanzlerin attestiert hatten (siehe „So gesagt“).
Insgesamt dominierten in den vier Stunden in der Gigelberghalle nicht kraftmeierische Rhetorik oder politische Phrasendrescherei, wie man sie zum Teil aus früheren Jahren kennt, sondern ein eher sachlicher, bisweilen nachdenklicher Ton. Die Anwesenheit der vielen Landwirte vor der Halle sorgte wohl dafür, dass die Agrarpolitik in den Reden von Baerbock und Kretschmann in diesem Jahr großen Raum einnahm. Ein anderes großes Thema waren die rassistisch motivierten Gewalttaten von Halle und Hanau, deren Opfer zu Beginn der Veranstaltung gedacht wurde. „Der Angriff galt einigen von uns, aber er betrifft uns alle. Wir müssen uns gemeinsam gegen Rassismus stellen“, sagte Baerbock zum Anschlag in Hanau. Es gebe „ein massives Rassismusproblem“in diesem Land, so die Grünen-Politikerin.
Nationalismus und alles nur in Gruppenzugehörigkeit zu packen, sei das „größte Gift der Neuzeit“, so Kretschmann in seiner einstündigen Rede. Ein einfaches Rezept, dies einzudämmen, gebe es nicht. Was man verhindern könne, sei, dass Parteien, die mit derartigem Vokabular arbeiten, keinen Einfluss bekämen. „Das war der Sündenfall der Politik in Thüringen“, so Kretschmann. Es habe sich danach aber gezeigt, dass die Demokratie in der Lage sei, Fehler zu korrigieren. Kretschmann appellierte zu mehr Republikanismus: „Der fragt nicht: Woher kommst du, sondern: Wohin willst du?“Es brauche deshalb auch keine neue Leitkulturdebatte: „Wir haben nämlich eine – das Grundgesetz.“
Kampfeslustig und schon im Wahlkampfmodus gab sich an diesem Vormittag nur die Grünen-Landeschefin Sandra Detzer, die sich vor allem den Koalitionspartner CDU und dessen Spitzenkandidatin, Kultusministerin Susanne Eisenmann, vornahm. Diese, so behauptete Detzer, kennen 85 Prozent der BadenWürttemberger gar nicht. Der CDU warf sie Versagen bei der Digitalisierung vor und kritisierte den früheren CDU-Minsiterpräsidenten Günther Oettinger dafür, dass er sich überlege, einen neuen Rat für Wissenschaftspolitik in Ungarn zu leiten – ein Anegbot des dortigen Regierungschefs Victor Orbán. „Alleine, dass Oettinger eine solche Tätigkeit in Betracht ziehe, zeige, dass die SüdwestCDU den Kompass verloren habe, kritisierte Detzer.
Für die Stadt Biberach begrüßte in diesem Jahr Oberbürgermeister Norbert Zeidler die Gäste in der Halle. Es war Zeidlers erster öffentlicher Auftritt nach einer fünfwöchigen Auszeit, bedingt durch eine Knie-OP. Die Veranstaltung der Grünen sei ihm deswegen sympatisch, „weil sie keine klassische Partei-Mutmach-Party ist“. Hier treffe man auch viele, die nicht zwingend zur grünen Stammwählerschaft gehörten. „Es braucht solche Veranstaltungen mehr denn je in einer Zeit, in der man das Gefühl hat, dass dauerhaft politischer Aschermittwoch ist“, so Zeidler. Der OB warnte vor Demagogie und davor, dass es sich das Land nicht leisten könne, beim Kampf gegen den Rechtsextremismus zu versagen.
Der großen Politik empfahl Zeidler, sich ein Beispiel an der Kommunalpolitik zu nehmen. Diese sei in höchstem Maße faktenbezogen. „Sie lebt weniger von großen Worten als von Taten.“Diese kommunale Grundhaltung täte auf allen politischen Ebenen sehr gut, sagte der OB.
Weitere Fotos von den Veranstaltungen in und vor der Gigelberghalle gibt es unter www.schwäbische.de/gruene-2020bc