Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Räte fordern Erinnerung an Demonstrat­ion gegen Hitler

Kurz nach der Machtergre­ifung 1933 zeigten 10 000 Menschen auf der Ravensburg­er Kuppelnau Zivilcoura­ge

- Von Bernd Adler

RAVENSBURG - Rund 10 000 Menschen haben am 19. Februar 1933 auf der Ravensburg­er Kuppelnau eine politische Veranstalt­ung besucht, die für Demokratie warb und sich gegen jeglichen Extremismu­s stellte. In einer Zeit, als Adolf Hitler bereits seit drei Wochen Kanzler des Deutschen Reichs war. Die Fraktion der „Bürger für Ravensburg“im Gemeindera­t fordert daher eine Gedenktafe­l an diesem Ort, an dem Menschen Zivilcoura­ge zeigten. Trotz all der damals schon aufkommend­en Bedrohunge­n.

Ravensburg war bis zu Beginn der Hitlerzeit politisch von der katholisch-konservati­ven Zentrumspa­rtei geprägt. Bei den Wahlen zwischen 1928 bis 1933 erhielt das Zentrum regelmäßig 40 bis 50 Prozent der Stimmen. Bei der Reichstags­wahl 1928 kam die NSDAP in der Türmestadt lediglich auf ein Ergebnis von 1,6 Prozent, im September 1930 waren es knapp fünf Prozent. Erst zwei Jahre später holten die Nationalso­zialisten gewaltig auf und errangen bei den beiden Reichstags­wahlen 1932 25 beziehungs­weise 23 Prozent der Wählerstim­men. Im März 1933 lag der Anteil der NSDAP bei 37 Prozent.

Diese Zahlen zeigen, wie schwer es die Nazis zunächst hatten, vor ihrer Machtergre­ifung zahlreiche Wähler im katholisch-konservati­v geprägten Ravensburg hinter sich zu scharen. Noch 1932 kritisiert­e die Lokalpress­e, der „Oberschwäb­ische Anzeiger“, die Nationalso­zialisten offen als Sämänner des „Hasses, der Unmenschli­chkeit und Grausamkei­t“.

Nach dem 30. Januar 1933, dem Tag von Hitlers Machtergre­ifung als Reichskanz­ler, kam es in der Stadt zu spontanen Protestakt­ionen.

Am Sonntag, 19. Februar 1933, veranstalt­ete das Zentrum auf der Kuppelnau eine Wahlkundge­bung mit dem ehemaligen Reichskanz­ler Heinrich Brüning, die letztlich zu einer Demonstrat­ion gegen das neue NS-Regime wurde. Rund 10 000 strömten zu der Veranstalt­ung. Ravensburg hatte damals rund 18 000 Einwohner.

Heinrich Brüning war vom 30. März 1930 bis zum 30. Mai 1932 deutscher Reichskanz­ler gewesen. Er war der letzte Kanzler der Weimarer Republik, der auf verfassung­sgemäßer Grundlage regierte. Bei seiner Rede auf der Ravensburg­er Kuppelnau wurde Brüning von den Besuchern

beklatscht und bejubelt. Wie der „Oberschwäb­ische Anzeiger“im Nachgang berichtete, rief der ehemalige Reichskanz­ler leidenscha­ftlich zur Stärkung der politische­n Mitte gegen die radikalen Fronten links und rechts auf, zur Verteidigu­ng der Rechte des Volkes, zum Kampf für verfassung­sgemäße Zustände. Glaubt man den Chronisten, nahm er kein Blatt vor den Mund – auch nicht drei Wochen nach Hitlers Machtergre­ifung.

Nur wenige Monate später wickelte Heinrich Brüning seine Partei, das katholisch­e Zentrum, ab, um einem Verbot durch Hitler zuvorzukom­men. 1934 flüchtete er aus Deutschlan­d.

Brüning brach nach Aussage der „Bürger für Ravensburg“„eine Lanze für die Weimarer Verfassung“. Im Antrag des Fraktionsc­hefs Wilfried Krauss für eine Gedenkstät­te auf der Kuppelnau heißt es über den ehemaligen Reichskanz­ler: „Er rief zur Stärkung der politische­n Mitte, gegen die Radikalen von links und rechts, zur Verteidigu­ng der Rechte des Volkes und zum Kampf für verfassung­smäßige Zustände auf. Er prangerte Presseund Versammlun­gsverbote an und den Missbrauch des Rundfunks für Parteiprop­aganda (der Nazis) sowie das gemeinsame Aufmarschi­eren von Polizei und SA in Berlin. Wir finden, dass an diesen mutigen Auftritt Brünings und seiner Zuhörer in unserer Stadt erinnert werden sollte.“

 ?? FOTO: ARCHIV ?? Hinweis im „Oberschwäb­ischen Anzeiger“, einem Vorläufer der „Schwäbisch­en Zeitung“, auf die Kundgebung der Zentrumspa­rtei mit dem ehemaligen Reichskanz­ler Heinrich Brüning auf der Ravensburg­er Kuppelnau am 19. Februar 1933 – nur drei Wochen nach Hitlers Machtergre­ifung.
FOTO: ARCHIV Hinweis im „Oberschwäb­ischen Anzeiger“, einem Vorläufer der „Schwäbisch­en Zeitung“, auf die Kundgebung der Zentrumspa­rtei mit dem ehemaligen Reichskanz­ler Heinrich Brüning auf der Ravensburg­er Kuppelnau am 19. Februar 1933 – nur drei Wochen nach Hitlers Machtergre­ifung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany