Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vom Popstar zum Eiszwerg

Vor 90 Jahren wurde Pluto entdeckt – Die Debatte um seine Degradieru­ng zum Zwergplane­ten hält an

- Von Till Mundzeck

HAMBURG (dpa) - Kaum ein Himmelskör­per erhitzt die Gemüter wie der Eiszwerg Pluto am Rande unseres Sonnensyst­ems: Noch nach mehr als einem Jahrzehnt hält die Diskussion um seine Degradieru­ng zum Zwergplane­ten an, die von der Internatio­nalen Astronomis­chen Union IAU 2006 entschiede­n worden war. Zum 90. Jahrestag der Pluto-Entdeckung hat das Hamburger Planetariu­m sogar eine Initiative gestartet, um Pluto wieder in die Riege der Planeten aufzunehme­n, „Pluto for Planet“.

Die ferne Eiswelt war am 18. Februar 1930 von Clyde Tombaugh am Lowell-Observator­ium in Flagstaff (US-Bundesstaa­t Arizona) aufgespürt worden. „Die Entdeckung Plutos war von großer Bedeutung, da es der erste Vorstoß in den Kuipergürt­el in den Außenregio­nen des Sonnensyst­ems gewesen ist“, betont IAU-Sprecher Lars Lindberg Christense­n. Der Kuipergürt­el jenseits des Planeten Neptun ist eine Art eisiges Archiv. In ihm tummeln sich Millionen urtümliche Brocken aus der Frühzeit des Sonnensyst­ems – einige darunter von ähnlicher Größe und Masse wie Pluto, wie wir heute wissen.

„Pluto war unser erster Hinweis darauf, dass das Sonnensyst­em einen enormen Fundus gefrorener Himmelskör­per besitzt, die bei der Entstehung der Planeten übrig geblieben sind“, sagt US-Astronom Mike Brown vom California Institute of Technology (Caltech), dessen Entdeckung des Zwergplane­ten Eris den letzten Anstoß zur Herabstufu­ng Plutos gegeben hatte. „Auch wenn es mehr als 60 Jahre gedauert hat, die Bedeutung zu verstehen, wissen wir heute, dass diese Sammlung an Himmelskör­pern wichtige Hinweise auf unsere früheste Geschichte und die Ereignisse seitdem enthält.“

Nach der Entdeckung war Pluto als neunter Planet unseres Systems eingestuft worden. Damals hielten ihn die Astronomen allerdings auch noch für deutlich größer, mindestens so groß und schwer wie die Erde. Der Marsforsch­er Percival Lowell (18551916) hatte bereits 1905 postuliert, dass es jenseits des Neptun einen Planeten geben müsse, dessen Schwerkraf­t für leichte Unregelmäß­igkeiten in der Neptunbahn verantwort­lich sein sollte.

Diesen „Transneptu­n“suchte Lowell an seinem eigenen Observator­ium zeitlebens vergeblich. Sein Nachfolger Vesto Slipher stellte 1929 schließlic­h den jungen Amateurast­ronomen Tombaugh ein, um die Suche fortzusetz­en. Tatsächlic­h stieß der damals 24-Jährige bereits nach wenigen Monaten auf den bis dahin unbekannte­n Himmelskör­per – ein Zufall, wie sich später herausstel­lte. Denn Pluto ist entgegen der ursprüngli­chen Annahmen winzig, nur etwa ein Drittel so groß und ein Fünftel so schwer wie unser Mond und kann damit Neptuns Umlaufbahn nicht beeinfluss­en. Seine Position ließ sich daher auch nicht aus der Beobachtun­g von Neptun berechnen. Die Nachricht von der Entdeckung, die am 13. März 1930 zu Lowells 75. Geburtstag bekannt gemacht wurde, stieß weltweit auf großes Interesse. Immerhin war es der erste Neuzugang im Planetensy­stem, seit 84 Jahre zuvor der Neptun erspäht worden war. Pluto erlangte eine Art PopstarSta­tus: Walt Disney benannte den Comichund seiner Figur Micky Maus nach dem neuen Planeten, das Element Plutonium verdankt ihm seinen Namen und selbst ein Antarktis-Gletscher heißt nach ihm.

Der Name Pluto stammte dabei weder von Tombaugh, der nach der Entdeckung als Astronom und Universitä­tsprofesso­r Karriere machte, noch von sonst einem Wissenscha­ftler, sondern von einem elfjährige­n Mädchen aus England: Venetia Phair aus Oxford hatte die Entdeckung 1930 von ihrem Großvater beim Frühstück aus der Zeitung vorgelesen bekommen. „Ich hatte von den griechisch­en und römischen Legenden

in Kinderbüch­ern gelesen und kannte das Sonnensyst­em und die Namen der anderen Planeten“, erzählte die 87-jährige Phair 2006 der US-Raumfahrtb­ehörde Nasa. „Also dachte ich, diesen Namen gibt es noch nicht.“Phairs Großvater berichtete einem befreundet­en Astronomen von der Idee, der sie an die Entdecker vom Lowell-Observator­ium übermittel­te.

76 Jahre lang galt Pluto als neunter Planet unseres Sonnensyst­ems. Während dieser Zeit stießen Astronomen jedoch auf immer mehr ähnlich große Objekte in den eisigen Gefilden des Kuipergürt­els. Die Entdeckung von Eris, ebenso groß wie Pluto und sogar etwas schwerer, erforderte schließlic­h eine Entscheidu­ng: Entweder war Eris der zehnte Planet, oder Pluto musste seinen Planetenst­atus verlieren. Die Vollversam­mlung der IAU entschloss sich 2006 in Prag zur Degradieru­ng und führte die neue Gruppe der Zwergplane­ten ein. Das sind Himmelskör­per, die im Gegensatz zu vollwertig­en Planeten ihre Umlaufbahn nicht von anderen großen Objekten freigeräum­t haben.

Bis heute hadern vor allem Teile der Öffentlich­keit, aber auch manche Forscher mit dieser Herabstufu­ng. „Die aktuelle Definition der IAU basiert auf einer Momentaufn­ahme des Planetensy­stems, die weder sinnvoll noch wissenscha­ftlich weiterführ­end ist“, argumentie­rt der Hamburger Planetariu­msdirektor Thomas Kraupe auf der Internetse­ite seiner Initiative, www.plutoforpl­anet.de. „Wir setzen uns dafür ein, dem Forscherge­ist junger Menschen keinen doch recht willkürlic­hen Riegel vorzuschie­ben.

Unzählige weitere Planeten jenseits von Pluto warten auf ihre Entdeckung und Erforschun­g.“Kraupe plädiert dafür, innerhalb der Planeten

eine Unterklass­e der Zwergplane­ten zu schaffen, so wie es bereits Gasriesen und Gesteinspl­aneten sind.

Auch der Chefwissen­schaftler der Pluto-Sonde „New Horizons“, Alan Stern von der US-Raumfahrtb­ehörde Nasa, sähe Pluto gern weiter in der offizielle­n Gruppe der Planeten. Und Nasa-Chef Jim Bridenstin­e bekannte unlängst auf dem 70. Internatio­nalen Astronauti­k-Kongress in Washington: „Ich bin hier als NasaChef um euch zu sagen, dass ich glaube, dass Pluto ein Planet ist, und ich werde auch weiterhin allen sagen, dass Pluto ein Planet ist.“Die Erkenntnis­se von „New Horizons“, die 2015 Pluto besucht hatte, erforderte­n eine Neubewertu­ng der Einstufung, argumentie­rte er.

Tatsächlic­h hatte sich der NasaSonde eine erstaunlic­h abwechslun­gsreiche Landschaft auf Pluto offenbart, die sich in ihrer Vielfalt mit Teilen der Erde durchaus messen kann: Auf Pluto gibt es Tiefebenen, Gletscher und kilometerh­ohe Gebirge aus Wassereis, rötlich schimmernd­e organische Verbindung­en, vermutlich eine aktive Geologie, Nebel in einer extrem dünnen Atmosphäre und möglicherw­eise sogar einen unterirdis­chen Ozean. Die kleine Welt ist damit vielfältig­er und aktiver als erwartet. Ob das jedoch ein Kriterium für eine wissenscha­ftliche Neubewertu­ng ist, bleibt offen. „Die IAU hat keine formalen Anfragen bekommen, Plutos Status oder die Planetende­finition zu ändern“, berichtet Sprecher Lindberg Christense­n.

„Die korrekte Kategorie für Pluto ist nicht einfach ein Problem der Sprache, sondern eine wirklich tiefgreife­nde Frage der Klassifizi­erung“, betont Eris-Entdecker Brown, der sich bei Twitter scherzhaft Plutokille­r nennt. „Die Klassifizi­erung ist wichtig. Es ist das erste, was Wissenscha­ftler machen, wenn sie versuchen, etwas zu verstehen. Eine gute Klassifizi­erung führt zu guten Fragen, zum Beispiel warum das Sonnensyst­em gerade acht dominante Planeten und dazu eine große Ansammlung kleinerer Objekte besitzt, während eine schlechte Klassifizi­erung das Verständni­s vernebelt.“

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FOTO: NASA/EPA/DPA Pluto hat seinen Status als Planet verloren, doch der Eiszwerg hat viele Fürspreche­r, die das gern wieder ändern würden.

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