Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Erdogan fordert Nato-Hilfe

Türkei droht mit Öffnung ihrer Grenzen nach Europa

- Von Thomas Seibert politik@schwaebisc­he.de

ISTANBUL (AFP) - Angesichts des sich zuspitzend­en Konflikts um die syrische Provinz Idlib hat die Türkei von der Nato mehr Unterstütz­ung gefordert – und mit einer Öffnung ihrer Grenzen zur EU für Flüchtling­e gedroht. Die Türkei werde ihre Grenzen für Flüchtling­e, „die nach Europa wollen“, nicht länger schließen, sagte ein ranghoher Regierungs­vertreter am Freitag. Am Abend teilte der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell nach einem Telefonat mit dem türkischen Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu via Twitter mit, die EU habe von der Türkei eine „Zusicherun­g“erhalten, dass Ankara sich an seinen Teil des Flüchtling­spakts

zwischen der EU und der Türkei halten wird. Die Nato sicherte der Türkei ihre Solidaritä­t im Konflikt zu, stellte aber keine zusätzlich­e Unterstütz­ung in Aussicht. Der Nordatlant­ikrat der Nato kam am Freitag zu einem Sondertref­fen zusammen.

Der Konflikt zwischen der Türkei und syrischen Regierungs­truppen war am Donnerstag eskaliert. Bei Luftangrif­fen auf türkische Stellungen in der Provinz Idlib starben 33 türkische Soldaten. Die Türkei reagierte mit Vergeltung­sangriffen, bei denen am Freitag laut der Syrischen Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte 20 syrische Soldaten starben.

Die Türkei hat mehr zur Versorgung syrischer Flüchtling­e getan als jedes andere Land. Sie hat Europa seit dem Jahr 2016 einen Großteil der Last abgenommen und fast vier Millionen Menschen aufgenomme­n. Dafür verdient sie Unterstütz­ung und Anerkennun­g. Die Türkei hat sich aber auch in eine unrealisti­sche Syrien-Politik verrannt. Nun hat sie syrische Flüchtling­e in Richtung Europa in Marsch gesetzt, um mit der Angst der EU vor neuen Flüchtling­en die politische Unterstütz­ung zu erpressen. Das Manöver wird nicht gelingen. Aber es besiegelt den Bankrott der türkischen Syrien-Politik und wird das Misstrauen gegenüber Ankara im Westen schüren.

Präsident Recep Tayyip Erdogan will sich mithilfe der türkischen Armee und Ankara-treuer Rebellen eine Beteiligun­g an Verhandlun­gen über eine Nachkriegs­ordnung in Syrien ertrotzen. Als Nachbar hat die Türkei ein berechtigt­es Interesse an der Zukunft Syriens. Gespräche mit dem syrischen Präsidente­n Assad lehnt Erdogan jedoch ab – er versucht, seine Ansprüche mit der Brechstang­e durchzuset­zen. Doch der russische Beistand für Assad macht die türkische Armee verwundbar für Luftangrif­fe wie den am Donnerstag.

Die jüngste Eskalation in Syrien hat Erdogan vor Augen geführt, wie isoliert sie ist. Die russische Führung steht zu Assad. Die westlichen Verbündete­n halten sich zurück. Erdogan hatte den Westen immer wieder vor den Kopf gestoßen – in der Annahme, dass die Türkei wichtig genug ist, sich ihre Partner je nach Notwendigk­eit aussuchen zu können. Nun sah die Türkei keinen anderen Ausweg mehr, als unschuldig­e syrische Flüchtling­e als Druckmitte­l einzusetze­n, um die Europäer zur Unterstütz­ung zu zwingen: Freiwillig, das weiß Erdogan, stellt sich kein Staat im Westen an ihre Seite.

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