Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Kirche Gesicht und Stimme geben

Die katholisch­en Bischöfe suchen einen neuen Vorsitzend­en – Gewaltige Aufgaben warten

- Von Ludger Möllers

ULM - Er ist das „Gesicht“der katholisch­en Kirche in Deutschlan­d: Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, seit 2014 auch Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz. Noch bis Dienstagmi­ttag vertritt er als „Primus inter Pares“die Oberhirten: Völlig überrasche­nd hatte der 66-Jährige vor gut zwei Wochen angekündig­t, für eine zweite Amtszeit nicht antreten zu wollen. Nun ist offen, wer dem Westfalen nachfolgen wird: Ab Montag treffen sich die 68 Orts- und Weihbischö­fe zu ihrer Frühjahrsv­ollversamm­lung in Mainz und wählen am Dienstag ihren neuen Vorsitzend­en.

Die vier großen inhaltlich­en Herausford­erungen an Marx’ Nachfolger sind schnell zusammenge­fasst: Die Opfer des Missbrauch­sskandals warten immer noch auf eine Entschädig­ungsregelu­ng. Vielleicht gibt es in der kommenden Woche bereits eine Entscheidu­ng: Die Rede ist von einem mittleren fünfstelli­gen Eurobetrag, nachdem im Herbst sechsstell­ige Summen im Raum gestanden hatten. Vor allem aber stehen die weitere Aufarbeitu­ng des Skandals und Prävention­sarbeit auf der Agenda.

Weiter muss der künftige Vorsitzend­e die Versammlun­gen des Synodalen Wegs moderieren, bei denen Laien, Priester und Bischöfe in aller Offenheit über die Zukunft der Kirche in Deutschlan­d diskutiere­n. Schon bei der ersten Synodalver­sammlung Ende Januar wurde deutlich, dass dieses „Experiment im rechtsfrei­en Raum“eine Eigendynam­ik entfaltet, die kluge Interventi­onen und Moderation­en erfordert. Der Bischofsko­nferenz-Vorsitzend­e ist – neben dem Präsidente­n des Laien-Dachverban­des ZdK und den Sekretären von ZdK und Bischofsko­nferenz – einer von vier Köpfen dieses einzigarti­gen Gebildes.

Viel weiter aber reichen die Fragen nach der Zukunft der katholisch­en Kirche in Deutschlan­d: Die rasant steigenden Austrittsz­ahlen, der gesellscha­ftliche Relevanzve­rlust, die sinkende Attraktivi­tät der kirchliche­n Berufe, die Auflösung des einst so starken „katholisch­en Milieus“auch in ehemals „schwarzen Gegenden“wie Bayern, dem Rheinland oder dem Münsterlan­d sind existenzbe­drohend. Als Folge der demografis­chen Entwicklun­g im Klerus wird sich der Priesterma­ngel voll entfalten – quer durchs Land werden immer mehr Gemeinden ohne eigenen Priester dastehen. Die verbleiben­den Priester müssen gleichzeit­ig immer mehr Aufgaben übernehmen, was für diese heute schon zur Überlastun­g führt. Wird sich die katholisch­e Kirche aus der Fläche zurückzieh­en? Soziale Aufgaben abgeben? Nur noch für die „Treuesten der Treuen“Angebote bereithalt­en?

In der Bischofsko­nferenz sind die Meinungen sehr gespalten. Den Kreis der zerstritte­nen Oberhirten wieder zusammenzu­führen ist die vierte Aufgabe des neuen Vorsitzend­en, nachdem sich mit dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und den bayerische­n Bischöfen Rudolf Voderholze­r (Regensburg), Stefan Oster (Passau) und Gregor Maria Hanke (Eichstätt) eine starke konservati­ve Fraktion gegen Marx herausgebi­ldet hat.

Wer kann diese Aufgaben stemmen? Woelki hat bereits abgewunken, will nicht Vorsitzend­er der Bischofsko­nferenz werden. Er bekäme wohl auch nicht die erforderli­che Zweidritte­lmehrheit.

Hinzu kommt: Der „Neue“muss auch in Rom, vor allem im Vatikan, gut vernetzt sein, verhandlun­gssichere Italienisc­hkenntniss­e aufweisen, römischen „Stallgeruc­h“erkennen lassen und gleichzeit­ig die deutschen Interessen überzeugen­d gegenüber dem Papst, den stets skeptische­n Kurienkard­inälen und der Weltkirche vertreten können. Reinhard Marx hatte durch seinen direkten Zugang zu Papst Franziskus – er gehört dem Kardinalsr­at an – stets Vorteile im Kurienappa­rat.

Von den jüngeren deutschen Bischöfen bringen nur wenige diese Voraussetz­ungen mit. Zu nennen sind Franz-Josef Overbeck (55) aus Essen, Heiner Wilmer (58) aus Hildesheim, Karl-Heinz Wiesemann (59) aus Speyer und Franz Jung (53) aus Würzburg. Während Overbeck und Wiesemann langjährig­e Führungser­fahrungen aus ihren Diözesen

vorweisen können, hat Wilmer als Generalobe­rer von 2015 bis 2018 die Kongregati­on der Herz-JesuPriest­er mit weltweit 2200 Mitbrüdern geleitet. Gegen Jung spricht, dass er in der Diözese Würzburg gewaltige Restruktur­ierungen meistern muss.

Gut möglich, dass sich die Mehrheit der Oberhirten ganz anders entscheide­t: In Mainz, dem Tagungsort, wirkt mit Bischof Peter Kohlgraf (52) ein Pastoralth­eologe, der im geistigen Erbe des langjährig­en Vorsitzend­en der Bischofsko­nferenz und Bischofs von Mainz, Kardinal Karl Lehmann, handelt. Seine Grundüberz­eugung: „Nur eine dienende Kirche dient der Welt.“Kohlgraf hat die Gabe, im Medienzeit­alter überzeugen­d und „sprechfähi­g“aufzutrete­n. Nicht zuletzt dieses Kriterium bescherte Marx vor sechs Jahren eine Mehrheit, denn seine rhetorisch­en Fähigkeite­n standen und stehen außer Zweifel.

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FOTO: FLORIAN GÄRTNER/IMAGO IMAGES Gesucht wird der Nachfolger von Kardinal Reinhard Marx.

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