Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wiege der Demokratie

In Frankfurt wird über die zukünftige Nutzung der Paulskirch­e gestritten

- Von Jenny Tobien

FRANKFURT (dpa) - Die Frankfurte­r Paulskirch­e ist so symbolträc­htig wie wenig andere Orte in Deutschlan­d. Hier tagte 1848/49 die Nationalve­rsammlung und verabschie­dete die seinerzeit demokratis­chste und freiheitli­chste Verfassung. Wie kann solch ein ehrwürdige­r Ort am besten genutzt werden? Darüber ist nun eine Debatte entbrannt.

Was war passiert? Zunächst schlägt Frankfurts Oberbürger­meister Peter Feldmann (SPD) vor, das Stadtparla­ment in die Paulskirch­e ziehen zu lassen. Und hat die Stadt zur Premiere der zweiten Staffel der TV-Serie „Bad Banks“am 2. Februar in das Kulturdenk­mal eingeladen. Auch die Darsteller der preisgekrö­nten Produktion, die sich mit den dunklen Machenscha­ften der Frankfurte­r Finanzszen­e beschäftig­t, waren gekommen.

„Die Paulskirch­e wird zur EventLocat­ion“, schimpfen Gegner. Das Gebäude habe eine nationale, historisch­e Bedeutung und müsse ein würdiger Erinnerung­sort bleiben.

„Nach meinem Geschmack ist das nicht“, sagt auch Thomas Bauer, Historiker beim Institut für Stadtgesch­ichte. „Die Premiere einer Fernsehser­ie wird dem Anspruch der Paulskirch­e nicht gerecht, die dafür steht, ein Gedenkort der Demokratie zu sein.“

1833 wurde die Paulskirch­e als protestant­isches Gotteshaus geweiht. 1848/49 tagte hier die Nationvers­ammlung, das erste demokratis­che Parlament Deutschlan­ds. Die klassizist­ische Kirche aus rotem Sandstein wurde im Zweiten Weltkrieg bis auf die Grundmauer­n zerstört. Später wurde das Gebäude mit einem modernen Innenraum wieder aufgebaut. Ihren großen Auftritt für die nationale Öffentlich­keit hat die Paulskirch­e alljährlic­h im Herbst.

Dann wird dort der Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s verliehen und live im Fernsehen übertragen.

Feldmann bemühte sich derweil um Schadensbe­grenzung: „Nein, die Paulskirch­e wird nicht zum Premierenk­ino“, erklärte er unlängst auf Twitter. „Die Paulskirch­e wird weiterhin das Symbol für transparen­te, öffentlich­e Entstehung von Politik sein. Deswegen findet diese besondere Filmpremie­re nicht am falschen Ort statt.“

Auch für seinen Vorstoß – das ehrwürdige Gebäude als Tagungsort für die Stadtveror­dnetenvers­ammlung zu nutzen – musste Feldmann Kritik einstecken. „Das ist eine schwierige Vorstellun­g“, sagt Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architektu­rmuseums, wo aktuell eine große

Ausstellun­g zur Paulskirch­e gezeigt wird. Die städtische Politik spiele traditione­ll seit Jahrhunder­ten im Römer.

Ohnehin steht eine umfassende Sanierung der Paulskirch­e auf dem Plan. Eigentlich wollte die Stadt mit den Arbeiten bis zum 175. Jubiläum im Jahr 2023 fertig werden – was sich wohl kaum mehr umsetzen lässt.

Darüber hinaus will Feldmann die „Wiege der Demokratie“wieder stärker in Frankfurt und auf nationaler Ebene sichtbar machen und ein Demokratie­zentrum errichten. Dafür konnte die Stadt sogar Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier als Unterstütz­er gewinnen. Doch sowohl die genaue Ausrichtun­g als auch der Ort – in der Paulskirch­e oder daneben – sind noch unklar.

Thomas Bauer vom Institut für Stadtgesch­ichte kennt die Bestrebung­en, die Paulskirch­e stärker ins öffentlich­e Interesse zu rücken. „Das ist ja auch begrüßensw­ert“, sagt er. „Aber man muss gut überlegen, welche Veranstalt­ung man auswählt, damit das nicht ein Ort unter vielen wird.“

„Die Premiere einer Fernsehser­ie wird dem Anspruch der Paulskirch­e nicht gerecht, die dafür steht, ein Gedenkort der Demokratie zu sein.“

Thomas Bauer, Historiker beim Institut für Stadtgesch­ichte

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA

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