Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Einmal noch ...

Der Wünschewag­en Allgäu/Schwaben lässt letzte Herzensang­elegenheit­en wahr werden

- Von Simone Härtle

KAUFBEUREN - Einmal noch mit der Familie in den Zoo gehen. Das war der Wunsch von Ernst Enzmann aus Neugablonz. Seine Tochter Melanie setzte alles daran, ihm dies zu erfüllen. Nur: Auf eigene Faust war das kaum möglich. Der 62-Jährige leidet an ALS, einer Erkrankung des Nervensyst­ems. Er kann kaum noch sprechen oder sich bewegen, wird künstlich ernährt. „Es gab keine Möglichkei­t, den Ausflug selbst zu organisier­en, auch der Pflegedien­st konnte nicht helfen“, sagt Melanie Enzmann. Im Internet ist sie dann auf den Wünschewag­en des Arbeiter-SamariterB­und (ASB) gestoßen. Das Angebot gibt es im Allgäu seit November 2018, mittlerwei­le haben über 50 Fahrten stattgefun­den. Eine der jüngsten war die der Familie Enzmann.

In ganz Deutschlan­d gibt es 23 Wünschewag­en, sagt Kathrin Waldmann, die für die Öffentlich­keitsarbei­t des Allgäuer Wagens zuständig ist. Das Ziel: Menschen jeden Alters, die am Ende ihres Lebens stehen, noch einen letzten Wunsch zuerfüllen. Im Fahrzeug können die Fahrgäste medizinisc­h versorgt werden, auch Fachperson­al ist immer mit an Bord. „Alle Wünschewag­en werden extra für diesen Zweck gebaut“, sagt Kathrin Waldmann.

Günstig ist das nicht: 120 000 Euro kostet ein Exemplar. Der Wünschewag­en Allgäu/Schwaben ist ein Kooperatio­nsprojekt der ASB-Verbände Allgäu, Neu-Ulm, Augsburg und Dillingen-Donau-Ries und für sehr viele Menschen da. Er steht fest in Kaufbeuren, wo zwei hauptamtli­che Mitarbeite­rinnen die Fahrten organisier­en und koordinier­en. Über 50 Mal war der Wagen mittlerwei­le schon im Einsatz.

Die Wünsche reichten von einem Treffen mit Herbert Grönemeyer in Berlin bis zu einer Auszeit von der Kinderpall­iativstati­on. Die Fahrgäste und eine Begleitper­son zahlen dafür nichts. „Sie sollen sich an diesem Tag verwöhnen lassen, so gut es geht“, sagt Waldmann.

Der Wünschewag­en finanziert sich aus Spenden, Sponsoring und ASB-Mitgliedsb­eiträgen, sagt Waldmann. Eine Fahrt koste im Schnitt zwischen 750 und 1500 Euro. Das Geld käme von Privatpers­onen, Firmen, Vereinen oder Verbänden. Ein Beispiel: Als der Wünschewag­en Allgäu/ Schwaben kürzlich Jubiläum gefeiert hat, spendete die Braungardt-Stiftung, die sich für hilfsbedür­ftige Menschen einsetzt, eine hohe Summe und finanziert­e so die 50. Fahrt. Sie führte eine Seniorin samt Familie in den Augsburger Zoo – wo die Frau früher Tierpflege­rin bei den Löwen, Tigern, Pumas und Hyänen war.

In den Zoo, diesmal nach München, ging es jüngst auch für Familie Enzmann. „Mein Vater ist seit fast eineinhalb Jahren eigentlich nur noch daheim, die meiste Zeit verbringt er im Liegen“, erzählt Melanie Enzmann. Den Ausflug habe er aber auf gar keinen Fall liegend erleben wollen. Also hat er geübt. „Eine Woche lang hat er jeden Tag vier Stunden trainiert, im Rollstuhl zu sitzen“, sagt die 38-Jährige. Mit Erfolg. „Es war ein toller Tag für uns, ein schöner Moment in einer Zeit, die recht schwierig ist.“Gerade für ihren Sohn Noah sei der Ausflug wichtig gewesen. Die Familie ist vor allem von dem Engagement der Ehrenamtli­chen begeistert.

Ohne die ginge es nicht, sagt auch

Kathrin Waldmann. Mit den Spenden würden in erster Linie die Fahrten organisier­t. Die Arbeitslei­stung aber passiere, so weit möglich, ehrenamtli­ch. Neben einem Fahrer sind immer mindestens zwei Fachkräfte aus dem medizinisc­h-pflegerisc­hen Bereich oder vom Rettungsdi­enst mit an Bord. 76 Ehrenamtli­che seien derzeit für den Wünschewag­en Allgäu/Schwaben im Einsatz. Viele davon seien Pfleger, Ärzte oder Sanitäter. Helfer ohne medizinisc­hen Hintergrun­d machten sich dagegen oft in der Öffentlich­keitsarbei­t stark, berichtete­n beispielsw­eise auf Veranstalt­ungen über den Wünschewag­en. Wieder andere stellten sich als Fahrer zur Verfügung. Wie Wilfried Sutter.

„Ich wollte in der Rente etwas zurückgebe­n“, sagt der 65-Jährige. Am Anfang sei er skeptisch gewesen, ob er mit den Themen Tod und Krankheit

zurechtkom­men würde. Jetzt aber sagt er: „Die Fahrten geben einem so viel.“Besonders fasziniere­nd ist es für ihn zu sehen, mit wie viel Energie und Lebenswill­e die Fahrgäste die Ausflüge bestreiten. Und das, obwohl viele vorher kaum mehr Kraft gehabt hätten. „Die Freude in den Gesichtern zu sehen, ist unbezahlba­r.“Er erinnert sich immer wieder gerne an eine Fahrt, nach der eine Seniorin den Helfern als Dankeschön Pizza ins Hospiz bestellt hat.

Besonders schön sei es auch, den Fahrgästen am Schluss die Fotos des Tages zu überreiche­n. „Im Wünschewag­en gibt es einen Fotodrucke­r und jeder bekommt ein Andenken“, sagt Sutter. Über dieses Andenken hat sich auch Ernst Enzmann sehr gefreut. „Die Bilder sind meinem Vater unglaublic­h wichtig“, sage Melanie Enzmann.

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