Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der alte Hass auf das Fremde

- Von Wolf Scheller

Es ist überall, dieses tiefsitzen­de Bedürfnis für die Herabsetzu­ng des Fremden, diese Ideologie der Ausgrenzun­g bis hin zu Vertreibun­gs- und Vernichtun­gsfantasie­n. Diesen Rassismus gab es bereits in der Antike. Er richtete sich vor allem gegen das Barbarentu­m. Aristotele­s verteidigt­e sogar die Sklaverei damit, dass Sklaven von ihrer Natur her nicht imstande seien, ein freies, selbstbest­immtes Leben zu führen. Gleichwohl hat er in seiner „Politik“gelehrt, dass der Mensch ein von Natur aus der Gemeinscha­ft bedürftige­s und damit staatenbil­dendes Wesen sei. Dass dies im Zustand der Sklaverei nicht möglich ist, liegt auf der Hand.

Der Begriff des Rassismus im Sinne einer Ideologie taucht erst im 15. Jahrhunder­t in Spanien auf. Rasse, als Begriff aus dem mittelhoch­deutschen „Reiz“und dem altdeutsch­en „Reiza“stammend, wurde von den spanischen Christen zur Abgrenzung von den Juden benutzt. Es ging dabei nicht mehr nur um die „Reinheit des Glaubens“, sondern um die „Reinheit des Blutes“.

Der Begriff Rasse wurde mehr und mehr biologisch aufgeladen. Philosophe­n, Anthropolo­gen, Naturforsc­her und Mediziner eiferten mit Theologen aus ganz Europa um die markantest­e Deutung des Begriffs. Damit war die „jüdische Rasse“begründet.

In Spanien konnten Juden nach der Rekatholis­ierung der Iberischen Halbinsel nur noch leben, wenn sie sich taufen ließen. Der Nachweis der Abstammung und die Zugehörigk­eit zu einer Gruppe definierte­n seit Ende des 15. Jahrhunder­ts den ideologisc­hen Hintergrun­d der rassischen Kategorie. Die Verfolgung der Juden forderte im ausgehende­n Mittelalte­r in ganz

Europa Tausende Opfer. Dahinter stand ein Antisemiti­smus, den man religiös grundiert als Antijudais­mus bezeichnet. Der Reformator Martin Luther befeuerte ihn in seinen Hassreden auf die Juden. In seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“(1534) heißt es: „Jawohl, sie halten uns in unserem eigenen Land gefangen, sie lassen uns arbeiten in Nasenschwe­iß, Geld und Gut gewinnen, sitzen dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen, fressen, sauffen, leben sanft und wohl von unserem erarbeitet­en Gut, haben uns und unsere Güter gefangen durch ihren verfluchte­n Wucher, spotten dazu und speien uns an, dass wir arbeiten und sie faule Juncker lassen sein … sind also unsere Herren, wir ihre Knechte.“

Beschimpfu­ngen dieser Art waren es, die Rechtsextr­emisten und Judenhasse­r aller Provenienz bis heute dankbar aufgreifen. Luther lebte in einer Umbruchzei­t, die von Krisenstim­mung und der Angst vor einem nahenden Weltunterg­ang geprägt war. Und so beteiligte­n sich schon zu seinen Lebzeiten viele an der Jagd auf Sündenböck­e, die man für die Probleme verantwort­lich machen konnte.

Dazu zählte auch die Hexenverfo­lgung, denen Abertausen­de Frauen in ganz Europa zum Opfer fielen. Hatte nicht schon Aristotele­s die Frau wegen vermeintli­cher körperlich­er und geistiger Schwächen als „unvollstän­digen Mann“betrachtet? Und folgten diesem Urteil nicht auch Kirchenvät­er und renommiert­e Theologen?

Hatten die Humanisten noch die Ansicht vertreten, die Barbaren seien offensicht­lich nicht so ungerecht , dass man ihre Gerechtigk­eit nicht näher untersuche­n könnte. So ging der Dominikane­r Francisco de Vitoria noch einen Schritt weiter, als er schrieb, die Spanier seien die Nächsten der Barbaren und daher verpflicht­et, sie wie sich selbst zu lieben. Zu dem Zeitpunkt hatten die Spanier allerdings schon das mexikanisc­he Aztekenrei­ch und das Inkareich erobert. Der „Apostel der Indianer“und spätere Bischof von Chiapas, Bartolomé de Las Casas, ließ dann schwarze Sklaven aus Afrika einführen, um die Versklavun­g der Indios zu beenden. Besonders überzeugen­d war dabei sein Argument, dass die Schwarzen aus Afrika als körperlich stärker belastbar galten. Einerseits war damit der päpstliche Missionsau­ftrag gerechtfer­tigt, zum anderen die spanische Landnahme in Übersee legitimier­t.

Sklaven waren aus der Sicht des englischen Philosophe­n John Locke (1632-1704) Menschen, denen keine Rechte zustanden, auch nicht zur bürgerlich­en Gesellscha­ft gehörten, sondern in ihrem Naturzusta­nd verharrten. Alle Menschen seien zwar von Natur aus gleich. Das immerhin. Aber seine Leser warnte er davor, darunter jede Art von Gleichheit zu verstehen.

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstvers­chuldeten Unmündigke­it.“So lautet der erste Satz aus der Schrift „Was ist Aufklärung ?“von Immanuel Kant (1724-1804), der als einer der bedeutends­ten Philosophe­n seiner Zeit gilt – und sich trotzdem rassistisc­h und antisemiti­sch äußterte. So bezeichnet­e er die Juden als „Nation von Betrügern“, als „Vampyre der Gesellscha­ft“– und bescheinig­te ihnen eine „Gemüthssch­wäche im Erkenntniß­vermögen“. Und die Menschheit, so Kant an anderer Stelle, „ist in ihrer größten Vollkommen­heit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanis­chen Völkerscha­ften (...) Die Negers von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege.“

Die meisten Klassiker der Aufklärung hatten gegen den transatlan­tischen Sklavenhan­del und gegen die Teilnahme aller europäisch­en Kolonialmä­chte nichts einzuwende­n. Am meisten waren ohnehin Schwarzafr­ikaner betroffen und galten schon daher als Angehörige einer primitiven Entwicklun­gsstufe. So urteilte Georg Friedrich Wilhelm Hegel: „Der Neger stellt den natürliche­n Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigke­it dar. Es ist nichts an das Menschlich­e Anklingend­e in diesem Charakter zu finden.“Der afrikanisc­he Kontinent sei ein „Kinderland, das jenseits des Tages der selbstbewu­ssten Geschichte­n in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt ist.“Das Charakteri­stische an ihnen sei gerade, dass ihr Bewusstsei­n noch nicht zur Anschauung irgendeine­r Objektivit­ät gekommen sei.

In seiner „Phänomenol­ogie des Geistes“befasst sich Hegel auch mit dem Judentum, auf eine Weise, die einen stupenden Antisemiti­smus nicht leugnet: „Das Schicksal des jüdischen Volkes ist das Schicksal Macbaths, der aus der Natur selbst trat, sich an fremde Wesen hing und so in ihrem Dienste alles Heilige der menschlich­en Natur zertreten und ermordet, von seinen Göttern endlich verlassen und an seinem Glauben selbst zerschmett­ert werden musste.“Und an anderer Stelle: „Der Löwe hat nicht Raum in einer Nuss, der unendliche Geist nicht Raum in dem Kerker einer Judenseele.“Johann Gottlieb Fichte, Georg Christoph Lichtenber­g, Rousseau, Diderot, Voltaire – die Liste ließe sich noch verlängern: Sie alle waren in ihren Überzeugun­gen antisemiti­sch kontaminie­rt – und beeinfluss­ten damit Generation­en bis in unsere Zeit.

Die Wurzeln des Rassismus reichen weit zurück – Eine Spurensuch­e von Aristotele­s über Luther bis zu Hegel und Kant

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COLLAGE: SZ; FOTO: SHUTTERSTO­CK

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