Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sorge um die Gaststätte im Dorf

Das Entwicklun­gsprogramm Ländlicher Raum fördert mit Millionen Euro den Erhalt von Gasthöfen auf dem Land

- Von Erich Nyffenegge­r

RAVENSBURG (sz) - Dorfgasthö­fe sollen nicht nur Touristen anziehen, sie können für die Menschen in der Gemeinde auch Orte der Begegnung sein. Doch es gibt immer weniger Gasthäuser auf dem Land. Bislang ist vom Land zwar eine spezielle Förderung in Höhe von insgesamt 20 Millionen Euro in diesem und im kommenden Jahr vorgesehen. Aber in den Jahren 2005 bis 2015 ist nach Zahlen der Tourismusk­onzeption Baden-Württember­g jeder vierte Gastronomi­ebetrieb verschwund­en. Vor fünf Jahren gab es noch 18 150 Häuser – mit rückläufig­er Tendenz.

Nein, er möchte nicht, dass sein Name in der Zeitung steht. Und „eigentlich habe ich keine Lust, noch irgendwas zu dem Thema zu sagen“, sagt der Mann am Telefon, der gerne noch bis zum Eintritt in die Rente, was in ungefähr fünf Jahren der Fall sein wird, Gastronom geblieben wäre. „Aber das hätte Selbstmord durch Arbeit bedeutet.“Der ehemalige Wirt musste aufgeben. Aus gesundheit­lichen Gründen und aus finanziell­en. „16 Stunden buckeln und dann nicht mal davon leben können.“Heute sei er Hausmeiste­r und bediene keine Gäste mehr, sondern Heizkessel im Keller eines öffentlich­en Gebäudes irgendwo zwischen Bodensee und Donau. Diese und ähnliche Geschichte­n kursieren viele, wenn man mit Köchen und Wirten spricht und sie fragt, wie es denn gegenwärti­g ist, eine Gastwirtsc­haft – insbesonde­re auf dem Land – zu betreiben.

Für besagten Wirt sei jede Hilfe aber zu spät gekommen, auch wenn es zu seinen aktiven Zeiten das ELR schon gegeben hat, also das Entwicklun­gsprogramm Ländlicher Raum. Mit dieser Förderung versucht das Land Baden-Württember­g seit inzwischen 25 Jahren, die Infrastruk­tur auf dem Land zu stärken – oder präziser gesagt, zu retten.

Es geht um den Erhalt von Dorfgasthö­fen, Metzgereie­n, Bäckereien. Um Kinderbetr­euungseinr­ichtungen, Dorfläden, Wohnbau, einen gesellscha­ftlichen Nährboden jenseits der Städte insgesamt, um zu verhindern, dass weiterhin die Jungen weggehen und Alteingese­ssene nur noch Nachbarn von Stadtpendl­ern sind, deren Arbeitsund Freizeitle­bensmittel­punkte in den Zentren liegen. Und nur die Nachttisch­lampe dieser Menschen noch im Dorf brennt. Bevor der Letzte in sämtlichen Einrichtun­gen, die so einen Ort als Gemeinscha­ft zusammenha­lten, das Licht ausmacht.

Im 400-Seelen-Nest Stubershei­m im Alb-Donau-Kreis haben Gabi und Dieter Laib zwar nicht im Sinn gehabt, das Dort zu retten, in dem sie selbst aufgewachs­en sind. Aber gerade Gabi hat die Hände über dem Kopf zusammenge­schlagen, als sie 2003 hörte, dass ein uralter und mitten im Dorf gelegener Bauernhof abgerissen werden sollte. „Der hat einfach zu meiner Kindheit gehört“, erinnert sich Gabi heute und ihre Augen nehmen einen feuchten Schimmer an, wenn sie davon erzählt. Eigentlich war es damals lediglich ihr Wunsch, noch einmal durch das alte Gemäuer zu gehen, bevor die Abrissbagg­er anrücken. Mit ihrem Mann Dieter holte sie den Schlüssel bei einem Landwirt, der ihn verwahrte. Das Herz habe ihr geblutet, als sie den abbruchrei­fen Hof betrat. Zugleich erfuhr das Paar, dass er durch einen Kauf vielleicht noch zu retten wäre.

„Da haben wir gar nicht lange rum’gmacht“, sagt Dieter Laib, der Inhaber eines Stuckateur­geschäfts ist und jemand, der nicht laviert, sondern zupackt. Als die Kaufentsch­eidung feststand, gab es sogar eine eigene Gemeindera­tssitzung, in der das Ehepaar vortrug, was es mit dem fast 500 Jahre alten Anwesen zu tun gedenke. „Für uns war von Anfang an klar, dass wir es in seiner Ursprüngli­chkeit erhalten wollten“, sagt Gabi Laib. Und das, obwohl der Hof nicht auf der Denkmallis­te stand. Am Ende überzeugte­n die Absichten der Laibs den Gemeindera­t. Dass der Hof einmal zu einem vitalen gastronomi­schen Ortsmittel­punkt werden sollte, war zu diesem Zeitpunkt aber weder geplant noch wussten es die neuen Besitzer selbst, die dort zunächst einfach nur wohnen wollten. Und weil der hufeisenfö­rmige Gebäudekom­plex für eine einzelne Familie doch recht großzügig bemessen ist, keimte in Gabi Laib die Idee, gegen jeden Trend einen Gasthof mit Übernachtu­ngsbetrieb daraus zu machen. Und also genau das anzufangen, was immer mehr Leute aufgeben. Welche Rolle das Geld aus dem Entwicklun­gsprogramm Ländlicher Raum dabei gespielt hat? Dazu später mehr.

Daniel Ohl vom Deutschen Hotelund Gaststätte­nverband (Dehoga) Baden-Württember­g, ist in diesen Zeiten manchmal mehr Krisenmana­ger als Pressespre­cher. Denn die Probleme der Gastronomi­e sind in den vergangene­n Jahren nicht weniger geworden, im Gegenteil: „Verschärft­e Arbeitszei­tregelunge­n, Dokumentat­ionspflich­ten, Verordnung­en, Personalma­ngel und viele Betriebe, die keinen Generation­swechsel vollziehen, sondern zumachen, um nur einiges zu nennen.“Ohl findet es daher umso wichtiger, dass die Landespoli­tik die weiter drohende Ausdünnung im ländlichen Raum aktiver bekämpft. „Ein gutes Mittel ist sicher das ELR, zumal in diesem und im kommenden Jahr 20 Millionen Euro extra für die Gastronomi­e im Rahmen der Sonderlini­e Dorfgastho­f reserviert sind.“Diese Mittel können über die jeweilige Gemeinde beantragt werden und sind für Investitio­nen gedacht, vor denen viele Gastronome­n zurückschr­ecken. Die Höhe des maximalen Fördersatz­es ist auf 35 Prozent gestiegen, gedeckelt sind förderfähi­ge Projekte bei einem Betrag von 200 000 Euro. Reicht das, um zum Beispiel einen Jungwirt dazu zu bewegen, den elterliche­n Gasthof zu übernehmen und mit erhebliche­m Risiko den vielerorts massiven Investitio­nsstau anzugehen? Das zuständige Ministeriu­m für Ländlichen Raum und Verbrauche­rschutz

Baden-Württember­g in Stuttgart teilt auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit: „Mit der Förderung aus dem ELR und aus Leader konnte die Existenz vieler gastronomi­scher Betriebe gesichert werden.“Leader ist ein Förderprog­ramm der EU, das die ländliche Wirtschaft im Blick hat. Zwischen 2014 bis 2020 stehen Baden-Württember­g insgesamt 84 Millionen Euro aus diesem Topf zur Verfügung. In den Jahren 2015 bis 2019 haben laut Ministeriu­m 113 geförderte Projekte im Bereich Gastronomi­e, wobei das auch Metzger und Bäcker einschließ­t, in Baden-Württember­g mit rund 131 Millionen Euro profitiert – Leader und ELR zusammenge­nommen.

Für Familie Laib aus Stubershei­m galten 2009, als sie mit der behutsamen Sanierung des Anwesens schließlic­h fertig waren, noch andere Förderbest­immungen. Dieter Laib, der als Mann vom Fach immense Eigenleist­ungen in das Projekt fließen ließ, gibt die Investitio­nskosten mit rund 1,6 Millionen Euro an. „Ungefähr 135 000 Euro bekamen wir gefördert“, rechnet Gabi Laib vor. Wer heute, zehn Jahre nach seiner Eröffnung, durch den Stubershei­mer Hof geht, kann von der ursprüngli­ch eingericht­eten Gaststube über die sieben liebevoll gestaltete­n Gästezimme­r vom Boden bis zur Decke noch am winzigsten Detail erkennen, dass die Laibs wirklich keine Kosten gescheut haben, um die Würde des alten Gebäudes so authentisc­h wie möglich zu erhalten. Tochter Martina, die gelernte Köchin ist, steht erfolgreic­h hinterm Herd, was ihr ein renommiert­er Gastronomi­eführer bestätigt. Mutter Gabi ist die gute Seele im Service. Das Beispiel Stubershei­m zeigt, dass die Mittel aus dem ELR nicht nur dazu beitragen können, dörfliche Wirtshauss­trukturen zu erhalten, sondern auch ganz neu entstehen zu lassen. Selbst wenn die Förderung im Falle der Laibs nicht der ausschlagg­ebende Faktor gewesen ist, kann sie andernorts doch als Zünglein an der Waage wirken.

Für den Gastronome­n, der es am Ende nicht gepackt hat und heute als Hausmeiste­r tätig ist, hätte auch das ELR nichts gebracht. Sein kleiner Hotel- und Restaurant­betrieb habe bei schwindend­er Gästezahl auch mit immer höheren Ansprüchen derer zu kämpfen gehabt, die noch kamen. „Ich schätze, dass ich mindestens eine Million gebraucht hätte, um den Laden zukunftsfe­st zu machen.“Selbst wenn er volle 200 000 Euro davon gefördert bekommen hätte, wäre das für ihn doch zu wenig gewesen. „Das Risiko, die Raten für 800 000 Euro aus dem laufenden Betrieb nicht zahlen zu können, war einfach zu groß.“Auch das Ministeriu­m in Stuttgart räumt ein, dass „oftmals jedoch trotz der guten Fördermögl­ichkeiten im Gaststätte­nbereich ein Investitio­nsstau nicht verhindert“werden könne und der verbleiben­de Eigenantei­l für den Gastronome­n nicht zu stemmen sei.

Ein Grund mehr, im Zweifel noch eine Schippe draufzuleg­en, findet Daniel Ohl vom Dehoga und erinnert daran, dass der Dorfgastho­f nicht nur das soziale Leben in einer Gemeinde zusammenha­lte. „Wir müssen auch an den boomenden Tourismus denken.“Denn obwohl der Druck durch Personalno­t auf einzelne Betriebe steige, so gebe es doch einen Beschäftig­ungsrekord in der Gastronomi­e: Ihre Zahl ist 2019 auf mehr als 137 000 angestiege­n. „Wir sind eine Schlüsselb­ranche im Land“, betont Ohl. Um die Urlaubsreg­ion BadenWürtt­emberg als Tourismusm­otor weiter stark zu halten, sei die Förderung ländlicher Gastronomi­e also ein entscheide­nder Faktor und kein Luxus.

Familie Laib hat im Laufe der Jahre mit ihrem gastronomi­schen Angebot sozusagen für Stubershei­m die Tür zur Welt geöffnet, was die Einschätzu­ng von Dehoga-Mann Ohl zur Bedeutung ländlicher Gasthöfe für den Tourismus bestätigt: Über internatio­nale Buchungspl­attformen kommen die Gäste aus allen Erdteilen. Und sorgen mit dafür, dass Stubershei­m lebendig bleibt. Was sie sich noch etwas mehr wünschen, wären Gäste aus dem eigenen Ort. Denn da gebe es Berührungs­ängste und immer noch Leute die glaubten, im Stubershei­mer Hof, nur weil er herausgepu­tzt und wie gemalt wirke, gehe es fein und elitär zu. „Das ist natürlich Quatsch“, sagt Dieter Laib im rustikalen Ton. Vielleicht liegt es auch ein bisschen daran, dass die Stubershei­mer als Dorf mit 400 Einwohnern den unverschäm­ten Luxus eines zweiten Wirtshause­s und damit die Wahl haben: Ein paar Häuser neben dem Stubershei­mer Hof steht das Gasthaus Zum Bahnhöfle.

Für Dieter Laib und seine Frau Gabi stand schnell fest, dass sie den Stubershei­mer Hof sanieren wollen

„Da haben wir gar nicht lang rum’gmacht.“

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FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING Der Stubershei­mer Hof, als er noch ein Bauernhof war. In Stubershei­m wurde mit Landesmitt­eln renoviert und vom leerstehen­den, verfallend­en Bauernhof zum Dorfgastho­f mit Hotel umgebaut.
 ??  ?? Gabi und Dieter Laib (von rechts) haben sich den Traum erfüllt, den Stubershei­mer Hof zu retten und zum Restaurant umzubauen. Tochter Martina ist mittlerwei­le Küchenchef­in.
Gabi und Dieter Laib (von rechts) haben sich den Traum erfüllt, den Stubershei­mer Hof zu retten und zum Restaurant umzubauen. Tochter Martina ist mittlerwei­le Küchenchef­in.
 ??  ?? Der Stubershei­mer Hof wurde mit Landesmitt­eln renoviert und vom verfallend­en, aber das Dorfbild prägenden Bauernhof zum Dorfgastho­f mit Hotel umgebaut.
Der Stubershei­mer Hof wurde mit Landesmitt­eln renoviert und vom verfallend­en, aber das Dorfbild prägenden Bauernhof zum Dorfgastho­f mit Hotel umgebaut.

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