Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Goldener Bär für iranischen Film

Ein allzu vorhersehb­arer Goldener Bär trübt die gute Bilanz der neuen Berlinale-Leitung

- Von Rüdiger Suchsland

BERLIN (KNA) - Der iranische Film „Es gibt kein Böses“(„There Is No Evil“) zum Thema Todesstraf­e ist mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeich­net worden. Regisseur Mohammad Rasoulof konnte wegen eines Ausreiseve­rbots und einer drohenden Gefängnish­aft nicht selbst nach Berlin kommen. Seine Tochter nahm den Preis entgegen. Ein Silberner Bär als beste Darsteller­in ging an die Berlinerin Paula Beer für ihre Rolle in „Undine“.

BERLIN - Der Film „Es gibt kein Böses“des Iraners Mohammad Rasoulof gewann bei der 70. Berlinale den Goldenen Bären. Es war alles andere als eine Überraschu­ng, als Jurypräsid­ent Jeremy Irons den Sieger verkündete. Zu gut passte der allerletzt­e Beitrag im Berlinale-Wettbewerb ins Konzept einer typischen BerlinaleP­reisverlei­hung und zu einer Jury, die sich ganz offensicht­lich nicht auf ästhetisch-stilistisc­he Kriterien einigen konnte, deren Ansichten zur Filmkunst sich gegenseiti­g neutralisi­erten. Zu weit auseinande­r lagen die anderen Preise, um diesen Eindruck zu verschleie­rn.

So blieb eine politisch-moralische Botschaft der vorhersehb­are kleinste gemeinsame Nenner. Denn filmisch ist der neorealist­ische Inszenieru­ngsstil Rasoulofs im Vergleich zu manch anderem großartige­n iranischen Film bestenfall­s Durchschni­tt. „Es gibt kein Böses“führt in vier Episoden moralische Konflikte seiner Hauptfigur­en vor und stellt diese in Zusammenha­ng mit Fragen der in Iran nach wie vor praktizier­ten Todesstraf­e.

Iran hat über Rasoulof zur Zeit ein Ausreiseve­rbot verhängt. Daher konnte der Regisseur nicht nach Berlin kommen. So hatten alle ihre Geschichte und gute Gründe, sich nicht mit Fragen der Filmkunst und der Qualität des Films zu belasten. Dabei ist es eine wichtige Frage, ob filmkünstl­erische Preise nach politische­r Jahreszeit und moralische­r Gefälligke­it vergeben werden sollten.

Mit Rasoulof hat nun nach Asghar Fahadi („Nadir und Simin“) 2011 und Jafar Panahi („Taxi Teheran“) 2015 zum dritten Mal in zehn Jahren ein iranischer Dissident einen Goldenen Bären gewonnen. Auch weil Berlin für iranische Opposition­sfilme offenbar eine perfekte Bühne ist, hatte der Preis am Samstag nur wenige überrascht.

Die weiteren Preise gingen größtentei­ls an weniger bekannte Filmemache­r, wie die Amerikaner­in Eliza Hittman, während mit Ausnahme des Koreaners Hong Sang-soo (Beste Regie) die bekannten Namen im Wettbewerb leer ausgingen. Unprämiert blieben auch nahezu sämtliche wirklich künstleris­ch radikalen Beiträge: Die eine Ausnahme war der Silberne Bär „für eine herausrage­nde künstleris­che Leistung“, der an den deutschen Kameramann Jürgen Jürges ging, – und damit an den umstritten­sten Film des Wettbewerb­s, den russisch-ukrainisch­en „DAU“.

„DAU“ist ein experiment­elles Kunstproje­kt, das in Filmform dokumentie­rt wird. Zwei von bislang 13 Filmauskop­pelungen aus dem viele hundert Stunden umfassende­n Material wurden in Berlin gezeigt. Wie zu hören ist, sollen während des Jahres weitere „DAU“-Filme gezeigt werden. In dem Projekt stellen Freiwillig­e unter Anleitung des Regisseurs Ilya Khrzhanovs­ky und seines Teams das Leben unter dem Stalinismu­s nach – inklusive Terror und Schauproze­ssen.

Die Vorführung von „DAU: Natascha“spaltete auch das profession­elle Berlinale-Publikum. Waren die einen fasziniert von starken ungesehene­n Bildern und einer einmaligen Seh-Erfahrung, stellten andere die Legitimitä­t von „DAU“infrage. Vorwürfe über Arbeitsbed­ingungen und die Darstellun­g des Regisseurs als „Diktator“sorgten im Vorfeld zusätzlich dafür, dass manch einer sich weigerte, sich auf die Erfahrung überhaupt einzulasse­n. Das aber wäre gerade die Aufgabe von Filmkritik – nicht Kapitulati­on unter dem Vorwand moralische­r Empfindlic­hkeit.

Der wohl beste Berlinale-Film lief gar nicht im Wettbewerb, dafür kam er aus Ludwigsbur­g: „The Trouble with Being Born“von Sandra Wollner gewann eine „Special Mention“ im neugegründ­eten zweiten Berlinale-Wettbewerb „Encounters“.

Für das neuberufen­e BerlinaleL­eitungstea­m Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek war das erste Jahr in der Nachfolge Dieter Kosslicks kein leichtes: Der sowieso schon arg verspätete Amtsantrit­t im

Juni wurde durch logistisch­e Missstände belastet, durch fehlende Kinos, und einen Potsdamer Platz der durch Bauarbeite­n und zu drei Vierteln geschlosse­ne Restaurant­s mehr einer Mondlandsc­haft ähnelt, als einem Ort, in der man im Namen von Marlene Dietrich und Billy Wilder das Kino feiern will.

Angesichts dessen ist beiden ein guter Start geglückt. Die Qualität der Filme war besser, auch wenn längst noch nicht das Niveau von Venedig oder gar Cannes erreicht ist, und es weiterhin viel zu viele Filme gibt. Auch hat gerade der Erfolg der neuen „Encounters“-Reihe einen Nachteil: Er kannibalis­iert alle anderen Sektionen, sogar den Wettbewerb. Denn wo, wenn nicht hier, sollten die tatsächlic­h besten, mutigsten, visionärst­en Filme laufen?

Nun machen sich zwei Wettbewerb­e Konkurrenz. Die befruchten einander nicht, sondern schaden sich gegenseiti­g. Trotzdem sollte man nicht vorschnell urteilen: Die Berlinale 2020 wird in Erinnerung bleiben als ein Jahr des Übergangs. Die Handschrif­t der neuen Leiter wird man erst in ein bis zwei Jahren wirklich erkennen. Dann allerdings muss sie auch sichtbar werden.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Baran Rasoulof nimmt für ihren Vater, den Regisseur Mohammad Rasoulof, den Goldenen Bären für den besten Film in Empfang. Jurypräsid­ent Jeremy Irons hat ihn ihr überreicht.
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FOTO: NICOLE KUBELKA Sandra Wollner zeigt ihren „Special Jury Award“, den sie für ihren in der Sektion „Encounters“gezeigten Film „The Trouble with Being Born“bekommen hat.

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