Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der grüne Nachwuchs wird ungeduldig

Viele Jungpoliti­ker wollen in die Parlamente – So mancher ist darüber nicht ganz glücklich

- Von Bettina Grachtrup, dpa

STUTTGART (lsw) - Er ist 23 Jahre alt, Co-Vorsitzend­er der Grünen Jugend im Südwesten und Stadtrat in Mannheim. Aber Deniz Gedik hat noch weitere politische Pläne: Bei der Landtagswa­hl im nächsten Jahr will er für die Grünen ins Parlament in Stuttgart ziehen. Denn die Fraktion muss seiner Ansicht nach nicht nur bunter und weiblicher, sondern auch jünger werden. „Es gibt viele Themen, bei denen man sich als junger Mensch nicht repräsenti­ert fühlt“, erklärt Gedik. „Ich will zeigen, dass die jungen Menschen eine Stimme haben.“

Mit diesem Ziel ist Gedik nicht allein: Die baden-württember­gischen Grünen haben in den vergangene­n Monaten einen deutlichen Zuwachs an Mitglieder­n erlebt – vor allem auch im Zuge der Klimaschut­zbewegung Fridays for Future. Seit Anfang 2019 nahm die Mitglieder­zahl der Landespart­ei um rund 3000 auf jetzt rund 13 800 zu. Noch rasanter war die Entwicklun­g bei der grünen Nachwuchso­rganisatio­n: Seit Mitte 2018 stieg die Zahl der Mitglieder von rund 570 auf jetzt rund 1300. Dabei haben viele junge Grüne das Ziel, etwas bewegen zu wollen.

Die eine Seite dieser Entwicklun­g: „Dank unseres anhaltende­n Mitglieder­zuwachses sind in den letzten zwei Jahren fast 20 neue Ortsverbän­de entstanden“, sagt GrünenLand­eschef Oliver Hildenbran­d. Die Grünen seien auch auf dem Land sichtbarer geworden. „Vor allem spüren wir in unserer Partei eine große Lust auf die politische Diskussion und das politische Engagement.“

Grünen-Landeschef­in Sandra Detzer erinnert daran, dass es nun rund 2300 grün-alternativ­e und grüne Kommunalpo­litiker gibt. „Rund 350 unserer 2300 Rätinnen und Räte sind erst in den Jahren 2018 und 2019 zu den Grünen gekommen.“

Lena Schwelling ist 27 Jahre alt und Stadträtin in Ulm. Sie bewirbt sich im Herbst 2021 um die Nachfolge von Landeschef­in Detzer, die in den Bundestag will. „Die Generation der 20- bis 30-Jährigen ist stark im Kommen“, sagt sie. Schwelling rechnet damit, dass der Nachwuchs nicht nur versuchen wird, in den Landtag einzuziehe­n. Auch Bundestags­mandate sind begehrt, weil Klimaschut­z vor allem auf Bundeseben­e entschiede­n wird. Schwelling sieht ihre Generation als die letzte an, die die Erderwärmu­ng noch aufhalten kann.

Jungpoliti­ker Gedik führt aber noch eine Reihe anderer Themen an, die die jungen Leute bewegen. Beispiel Mobilfunkm­asten: Während sich vor allem junge Menschen darüber freuen, dass Funklöcher geschlosse­n werden, wollen die älteren vielleicht keine Funkmasten vor ihren Haustüren. Oder das Thema Studiengeb­ühren. „Das sind Themen, wo man als junger Mensch einfach eine andere Brille auf hat“, sagt Gedik.

Die andere Seite des Mitglieder­zuwachses und der Politisier­ung junger Menschen ist, dass der Wettbewerb um Einfluss und um Mandate zunimmt. Derzeit läuft die Aufstellun­g der Kandidaten in den Wahlkreise­n für die Landtagswa­hl. Dabei kommt es auch zu Kampfkandi­daturen. Im Wahlkreis Breisgau etwa tritt die Grünen-Abgeordnet­e Bärbl Mielich nicht mehr an. Drei Männer und eine Frau konkurrier­en um ihre Nachfolge. Darunter sind Reinhold Pix, der bereits Abgeordnet­er im Landtag ist, und der 21 Jahre alte Politikstu­dent Roman Wick.

Und was ist, wenn der Nachwuchs erfahrene Politiker verdrängt? „Das ist Demokratie. Das können wir aushalten als Grüne“, sagt Schwelling. Niemand könne sich bis zur Rente auf seinem Abgeordnet­enmandat ausruhen. „Man muss sich immer der innerparte­ilichen Konkurrenz stellen. Und wenn man gute Arbeit macht, hat man auch gute Chancen, wieder aufgestell­t zu werden“, sagt die 27-Jährige.

Bereits beim Grünen-Landespart­eitag in Sindelfing­en im September war zu beobachten, wie die jungen Ungeduldig­en die alten Hasen antreiben. Forderunge­n des Landesvors­tandes zum Klimaschut­z, die die Delegierte­n als zu milde empfanden, wurden korrigiert. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) diskutiert­e im Oktober mit Vertretern von Fridays for Future in Stuttgart und hatte dort sichtbar Mühe, mit seinen Worten durchzudri­ngen. Es gebe „physikalis­che Tatsachen“, wie eben den Klimawande­l, aber auch „politische Tatsachen“. Sein Mantra: Man braucht in einer Demokratie Mehrheiten, um seine Ziele umzusetzen.

Der Bürgermeis­ter von Maselheim (Kreis Biberach), Elmar Braun, beobachtet die Entwicklun­g mit gemischten Gefühlen. Der 63-Jährige war 1991 der erste grüne Rathausche­f Deutschlan­ds. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie mühsam Politik sein kann. „Es gibt die ungeduldig­en Fridays-For-Future-Kinder, die mich an meine Jugend erinnern“, sagt er. „Sie wollen alles jetzt gleich und sofort, ohne Wenn und Aber.“

Die erfahrenen Grünen hätten gelernt, dass vieles nicht so schnell geht. „Es gibt Kreisverbä­nde, die gerade innerparte­iliche Diskussion­en haben zwischen den jungen Ungeduldig­en und den älteren Mitglieder­n, die die Mühlen hinter sich haben und die wissen, wie mühsam der Weg in der Ebene ist“, sagt Braun. Nach seinen Worten gibt es wegen der guten Wahlergebn­isse der Grünen immer mehr Mitglieder, die glaubten, dass sie recht hätten – immer und unumstößli­ch. „Das ist ein Nachteil. Das macht das Arbeiten schwierige­r.“

Hingegen hält Grünen-Politikeri­n Schwelling den Tatendrang und die Beharrlich­keit vieler junger Leute für unbedingt nötig, um gerade beim Klimaschut­z schnell etwas zu bewegen. Für sie ist klar: „Wir haben nicht die Zeit, um lange zu debattiere­n.“

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FOTOS: BERND WEISSBROD UND FELIX KÄSTLE/DPA Die Ulmerin Lena Schwelling will 2021 Landesvors­itzende der Grünen werden. Elmar Braun, Bürgermeis­ter der Gemeinde Maselheim im Landkreis Biberach, mahnt dagegen zu mehr Geduld beim Drang in politische Ämter.
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