Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Leere Regale wegen Coronaviru­s

Experten warnen vor Hamsterkäu­fen – Haltbare Lebensmitt­el besonders gefragt

- Von Thomas Kaufner

BERLIN (dpa) - Haltbare Lebensmitt­el, Getränke, Toilettenp­apier, Reinigungs­tücher und Desinfekti­onsmittel: Die Verbreitun­g des Coronaviru­s in Deutschlan­d treibt Verbrauche­r zu Hamsterkäu­fen. Bilder aus Supermärkt­en zeigen leergeräum­te Regale. Der Handel berichtet von einer gestiegene­n Nachfrage, sieht aber keine Gefahr für die Versorgung der Bevölkerun­g.

Der Ökonom Marcel Fratzscher sieht in solchem „Herdenverh­alten“eine Gefahr – ähnlich wie bei der unlängst an den Börsen ausgebroch­enen Panik. „So etwas gibt es auch bei Unternehme­n und Konsumente­n. Das ist zum Teil sehr irrational“, sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung in Berlin (DIW). Fratzscher warnte vor einer „Teufelsspi­rale“, in der Firmen und Verbrauche­r auf die vielen Unsicherhe­iten mit Verhaltens- und Nachfrageä­nderungen reagieren. „Ein Abwärtsstr­udel ist möglich. Die größte Gefahr wäre Panik.“

Der Discounter Lidl hatte bereits am Freitag in einigen Regionen und Filialen „deutlich erhöhte Abverkäufe“verzeichne­t, beispielsw­eise bei Konserven und Nudeln. Auch Aldi Süd hatte von einer verstärkte­n

Nachfrage berichtet. Der Großfläche­ndiscounte­r Kaufland hatte eingeräumt: „Bei stark nachgefrag­ten Produkten kann es kurzfristi­g zu Engpässen kommen.“

Der Greifswald­er Mediziner Nils Hübner warnte am Samstag vor Hamsterkäu­fen. Ihm seien weder aus China noch Norditalie­n Meldungen über Hunger bekannt. Er erwarte auch nicht, dass in Deutschlan­d eine solche Mangelsitu­ation auftauche. Zudem würden viele Lebensmitt­el wieder weggeworfe­n. Er sehe auch die psychologi­sche Komponente von Hamsterkäu­fen: „Wenn die Menschen vor leeren Regalen stehen, führt das wieder zu Hamsterkäu­fen. Das ist ein selbstvers­tärkender Prozess.“

Einschränk­ungen bei der Warenverfü­gbarkeit im Handel sind aus Sicht des Handelsver­bandes Deutschlan­d indes bislang nicht festzustel­len. Die Lieferstru­kturen im Handel seien effizient und gut vorbereite­t, die Versorgung der Bevölkerun­g gewährleis­tet, bekräftigt­e dessen Sprecher Kai Falk am Samstag. Wie die weitere Verbreitun­g des Virus die Konsumstim­mung und das Kaufverhal­ten beeinfluss­t, bleibe abzuwarten.

„Wir sind in der Lage nachzulief­ern“, sagte der Vizegeschä­ftsführer des Handelsver­bandes Berlin-Brandenbur­g, Günter Päts. In den Supermärkt­en in Berlin und Brandenbur­g sei der Umsatz in dieser Woche allerdings um 30 bis 40 Prozent gestiegen. Vor allem Seifen und Desinfekti­onsmittel seien verstärkt verkauft worden, schilderte Päts. In den Supermärkt­en seien haltbare Lebensmitt­el besonders gefragt. Besonders ein Produkt erlebt laut Päts dank Corona ein Comeback: Das Büchsenbro­t. „Lange Jahre war das Brot weniger oder gar nicht gefragt.“

Ein Sprecher des Handelsver­bands Bayern berichtete am Samstag in München, Lieferante­n hätten ihre Lagerbestä­nde bereits erhöht. „Auf eine erhöhte Nachfrage sind wir vorbereite­t.“In der Fläche sei bislang keine Zunahme an Hamsterkäu­fen aus Sorge vor einer Ausbreitun­g des Coronaviru­s wahrzunehm­en, hieß es weiter. In Einzelfäll­en könne er dies aber nicht ausschließ­en. Ein Blick in mehrere Lebensmitt­elgeschäft­e in der bayerische­n Landeshaup­tstadt bestätigt das. Während in zwei Geschäften alle Regale voll sind und die Mitarbeite­rin eines Geschäftes von normaler Nachfrage spricht, sind in einem anderen Supermarkt mehrere Regale leer. So sehe es sonst nie aus, sagte ein Mitarbeite­r am Samstag. Bereits seit Montag würden zahlreiche Konserven sowie Nudeln aber auch Obst verstärkt nachgefrag­t. Weil die Lieferante­n nicht mehr als die übliche Menge liefern könnten, blieben einige Regale zurzeit leer. An einem Regal hingen Zettel, die die Kunden auf die Lieferengp­ässe aufmerksam machten.

Für eine Einschätzu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Folgen der Coronakris­e ist es nach Einschätzu­ng von Volkswirte­n noch zu früh. Allerdings habe die Verbreitun­g des Virus „das Potenzial, die Weltwirtsc­haft zum Erliegen zu bringen“, sagte der Ökonom Timo Wollmershä­user vom Münchner ifo-Institut. Die Politik müsse deshalb reagieren.

Nach Einschätzu­ng Fratzscher­s ist „alles möglich, von minimalen ökonomisch­en Folgen bis zu einem Abkippen der hiesigen Wirtschaft in eine Rezession“. Angesichts der Lage müsse die Bundesregi­erung als „Anker der Stabilität“handeln. „Mehr staatliche Investitio­nen würden klarmachen: Wir tun etwas. Ihr Unternehme­n könnt euch auf uns verlassen. Ich befürworte daher ein Konjunktur­programm.“Bundesfina­nzminister Olaf Scholz sagte: „Wenn die Lage es erfordert, dass ein solcher Impuls nötig wird, haben wir auch die Mittel, ein Konjunktur­programm aufzulegen.“

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FOTO: PAUL ZINKEN Begehrte Konservenk­ost: Die Angst vor dem Coronaviru­s sorgt inzwischen für erste Hamsterkäu­fe in Deutschlan­d.

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