Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Milliardär kämpft um die linke Basis der US-Demokraten
Michael Bloomberg möchte ins Weiße Haus einziehen – Seine Vergangenheit als Bürgermeister von New York könnte dabei zum Problem werden
NEWBURYPORT - Wie verkauft man Michael Bloomberg? Wie vermarktet man einen der reichsten Männer der Welt in einer Partei, durch die ein kräftiger Linksruck geht? Wie vermittelt man Arbeitern im Mittleren Westen, dass ein 60-Milliarden-Dollar-Mann genau der Richtige ist, um ihre Interessen zu vertreten?
Brainstorming in Newburyport, einer Küstenstadt nördlich von Boston. Eydie Silva, Kampagnenmanagerin im Bundesstaat Massachusetts, hat eingeladen. An die 30 Gäste sind gekommen. Sie eint eine gewisse Verzweiflung. Keiner von denen, die das Bewerberfeld der Demokraten fürs Weiße Haus anführen, hat in ihren Augen das Zeug, im November gegen Donald Trump zu gewinnen. Bernie Sanders? Zu links. Pete Buttigieg? Zu unerfahren. Amy Klobuchar? Zu wenig bekannt. Nur Bloomberg, dem erfolgreichen Unternehmer und ehemaligen Bürgermeister New Yorks, trauen sie einen Sieg zu. Alle sind bereit, für ihn im Wahlkampf Klinken zu putzen. Nur, so fragt einer: „Mit welcher Botschaft gehen wir raus zu den Leuten?“
Ein Immobilienmakler ist aus Manhattan angereist, um die Werbetrommel zu rühren. Man könnte, antwortet er, auf Ground Zero verweisen, auf den Wiederaufbau aus den Trümmern des 11. Septembers 2001. Oder auf das Hochhausensemble der Hudson Yards, das ehrgeizigste Städtebauprojekt, das in New York je in Angriff genommen wurde. Hat Bloomberg nicht in beiden Fällen die Weichen gestellt? Zweifelnde Blicke, der Vorschlag ist dann doch zu immobilienspezifisch.
Silva will eher den Menschen Bloomberg skizzieren, einen Menschen mit Ecken und Kanten, dessen Karriere nicht nur Höhen kannte, sondern auch Tiefen. „Seht ihr, Mike wurde auch schon mal entlassen“, sagt sie, fast triumphierend, nachdem sie in die Runde gefragt hatte, wer schon einmal seinen Job verloren habe. Ehe er 1981 das Unternehmen gründete, mit dem er schließlich ein sagenhaftes Vermögen scheffelte, schied er im Streit von Salomon Brothers, einer Investmentbank. Bevor er ein Computersystem entwickelte, das Finanzinformationen schneller und umfassender lieferte, als man es bis dahin gekannt hatte, wurde Bloomberg, wenn man so will, gekündigt, so wie es täglich Abertausenden seiner Landsleute widerfährt. Und in Massachusetts, wo er in klassischem Mittelschichtenmilieu aufwuchs, nutzte er jede Gelegenheit, um im Museum of Science in Boston seinen Wissensdurst zu stillen. Vor ein paar Jahren spendete er dem Museum 50 Millionen Dollar.
Bloomberg, der Philanthrop. Der Selfmademan, der anders als Donald Trump kein dickes Konto erbte. Der personifizierte American Dream. So könnte man ihn vielleicht auch den Malochern im Mittleren Westen schmackhaft machen, meint Eydie Silva. Wie der 78-Jährige sich selber verkauft, sieht man am Ende jedes Fernsehwerbespots, von denen es schon jetzt so viele gibt, dass man ihnen kaum entgehen kann. Ob Waffengesetze, Klimaschutz oder eine Reform des Einwanderungsrechts, jedes Mal läuft es auf die Botschaft zu: „Mike will get it done“– Mike wird es hinbekommen.
Erst im November warf er seinen Hut in den Ring. Joe Biden, wie er ein Vertreter der pragmatischen Mitte, zeigte deutliche Schwächen, sodass er beschloss, es selbst zu versuchen.
Zudem reizt ihn wohl das persönliche Duell gegen Trump, in dem er schon früher nur einen Aufschneider sah. Von 2002 bis 2013 war Bloomberg Rathauschef in New York. Er setzte ein Rauchverbot in Kneipen durch, ließ Fahrradwege anlegen und den Times Square zur Fußgängerzone umbauen. Die Stadt wurde schöner, doch für Normalverdiener oft nicht mehr bezahlbar.
Kann also ein Multimilliardär, noch dazu ein früherer Republikaner, eine Partei überzeugen, an deren Basis Bernie Sanders’ Polemik gegen kapitalistische Exzesse gerade bei Jüngeren ankommt? Er kann es, glaubt Thomas Friedman, prominenter Kolumnist der „New York Times“. „Dieser Kandidat ist nicht knuddelig, er ist nicht immer politisch korrekt, er wird Ihnen nicht immer das sagen, was Sie hören wollen.“Bloomberg habe gewiss Fehler gemacht, nur müsse man diese in die Gesamtbilanz eines Mannes einordnen, der sich bei nahezu jedem progressiven Anliegen enorm engagierte, sei es im Kampf gegen Schusswaffen oder für die Bewahrung des Abtreibungsrechts, sei es beim Klimawandel oder bei der Bildung.
Bloombergs wohl eklatanteste Schwachstelle hat mit einer Polizeitaktik zu tun, die man „stop and frisk“nennt: anhalten und filzen. Darunter ist zu verstehen, dass Passanten ohne konkrete Verdachtsmomente von Beamten gestoppt und beispielsweise nach Waffen durchsucht werden können. Als Bürgermeister übernahm „Mayor Mike“das Konzept von seinem konservativen Amtsvorgänger Rudy Giuliani und ließ es noch intensiver anwenden. In der Praxis führte es dazu, dass junge Afroamerikaner und Latinos sehr viel öfter kontrolliert wurden als junge Weiße. „Racial profiling!“, protestierten Bürgerrechtler.
Das Kapitel hängt wie ein Klotz an seinem Bein. Es kann ihn am Super Tuesday, wenn rund 40 Prozent der Vorwählerstimmen zu vergeben sind und sein Name zum ersten Mal auf Wahlzetteln steht, in Staaten wie Kalifornien oder Texas viel Zuspruch kosten.
Bloomberg weiß das, bereits im November hat er sich in aller Form dafür entschuldigt, und im Februar brach er demonstrativ auf zu einer Art Versöhnungstour. Sie führte nach Detroit, nach Philadelphia, nach Compton im Ballungsraum von Los Angeles, in Städte mit hohem afroamerikanischem Bevölkerungsanteil. Er habe zu spät begriffen, streute er sich Asche aufs Haupt, wie das Vorgehen der Polizei auf Menschen mit dunkler Haut gewirkt haben müsse. „Ich bedauere das. Ich übernehme die Verantwortung dafür.“