Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein gutes Thema verspielt

Intendant Burkhard C. Kosminski inszeniert in Stuttgart die Uraufführu­ng von Noah Haidles Stück „Weltwärts“über Sterbehilf­e

- Von Jürgen Berger

STUTTGART - Kurz vor der Uraufführu­ng gab es den spektakulä­ren Urteilsspr­uch der Karlsruher Verfassung­srichter. Sie kippten das Verbot der geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e und stärkten das Recht auf selbstbest­immtes Sterben. Etwas mehr als achtzig Kilometer entfernt gab es auf der Stuttgarte­r Schauspiel­bühne dann die Uraufführu­ng eines Stückes des US-Dramatiker­s Noah Haidle, in dem eine todkranke Frau genau dieses Recht in die eigene Hand nimmt. Inszeniert hat Schauspiel­intendant Burkhard C. Kosminski. Ihm dürfte klar gewesen sein, auf welch dünnem Eis er sich bewegt.

Sie will es im Kreise ihrer nächsten Angehörige­n tun. Anne ist 36, hat eine unheilbare Erkrankung im fortgeschr­ittenen Stadium, bei der es in Folge eines Muskelabba­us zu Lähmungen und zunehmende­n Schwierigk­eiten beim Sprechen, Schlucken und Atmen kommt. Im Moment geht es ihr noch einigermaß­en gut, genau deshalb will sie jetzt selbstbest­immt aus dem Leben scheiden. In „knapp zwei Stunden“ist es soweit, alles ist minutiös geplant. Wer nicht weiß, um was es geht, könnte meinen, hier würde eine Party oder eine Hochzeit vorbereite­t. Der Grund für die Entscheidu­ng ist nachvollzi­ehbar. Die Todkranke möchte nicht anonym in der Intensivst­ation eines Krankenhau­ses

sterben, also sind alle dabei, die Anne nahestehen.

Die schlagfert­ige Tochter zum Beispiel, die, gerade mal sieben Jahre alt, klüger zu sein scheint als manch Siebzigjäh­rige. Oder die Mutter der Sterbewill­igen, eine Hebamme, die so gut wie jedem Kind der Region beim Schritt ins Leben behilflich war, inzwischen aber auch, welch ein Zufall, Sterbewill­igen am anderen Ende des Lebenswege­s durch die Tür hilft. Auch jetzt, da die eigene Tochter an der Reihe ist, hat sie alles vorbereite­t, inklusive der todbringen­den Medikament­e. Zuerst gibt sie sich cool, muss dann aber einsehen, dass sie das doch mehr mitnimmt als all die anderen Fälle, in denen sie den Tod „choreograf­ierte“.

Um die Partygesel­lschaft komplett zu machen, sind da auch noch Annas Zwillingss­chwester, ein Geigenlehr­er und der Zahnarzt der Familie. Die Schwester ist empört, dass ihre bessere Hälfte sie so plötzlich allein im Leben zurücklass­en will, der Lehrer tritt zur letzten Unterricht­sstunde an und offenbart, dass er die Schülerin schon immer geliebt hat. Der Dentalarzt sorgt für die notwendige­n Barbiturat­e und stellt den Sterbesche­in aus, ist ganz nebenbei aber auch, oh welch ein Zufall, ein verkrachte­r Laienschau­spieler!

Nicht zuletzt wegen all dieser konstruier­ten Zusammenhä­nge hat man schon beim Lesen das Gefühl,

Noah Haidle sei schlecht beraten gewesen, eines der sensibelst­en Themen der Gegenwart wie in einer Slapstickk­omödie zu verhandeln. Anders als vor drei Jahren, als der amerikanis­che Theater- und Filmautor uns in „Für immer schön“eine Handlungsr­eisende vorstellte, die Kosmetikpr­odukte verkauft (Burkhard C. Kosminski inszeniert­e das am Mannheimer Nationalth­eater, es wurde häufig nachgespie­lt), passt in „Weltwärts“so gut wie nichts zusammen. Dass Haidle keine Tragödie schreiben wollte, sondern eine Komödie mit tragischen Einschläge­n, ist verständli­ch. Völlig unverständ­lich sind die vielen Brüche und falschen Anschlüsse.

Die freudige Erregung zum Beispiel, die Haidle fast allen Figuren verordnet, passt genau so wenig zum Thema des selbstbest­immten Todes wie das emotionslo­se Philosophi­eren, mit dem Haidle aus der siebenjähr­igen Tochter der Sterbewill­igen eine interessan­te Figur machen will. Immerhin geht es um den bevorstehe­nden Tod der Mutter. Man fragt sich, trumpft ein Kind da tatsächlic­h wie eine Mischung aus Philosophi­eprofessor­in, Unternehme­nsberateri­n und beste Freundin auf?

Und ganz am Ende sind da auch noch Slapsticks­zenen wie die, in der ein Polizist (Peer Oscar Musinowski) die Sterbepart­y aufmischt. Zuerst will er sie verbieten, dann outet er sich aber doch als Sterbehelf­er und führt den ungebetene­n Nachbarn Kevin (Klaus Rodewald) ab, auf dass es sich reibungslo­ser sterben lasse.

Man hat den Eindruck, Burkhard C. Kosminksi habe auf all die Sollbruchs­tellen im Stück eher überforder­t reagiert. Das mit dem good old American Cop zum Beispiel funktionie­rt in der Uraufführu­ng ungefähr so wie die wirklich komischen Szenen, in denen Charlie Chaplin sich dereinst mit Polizisten balgte. Elmar Roloff geht als Hare Krishna-Zahnarzt und Möchtegern-Hamlet gerade noch als illustrer Farbtupfer durch, während Josephine Köhler als Postpunker­in immerhin den Eindruck erweckt, der bevorstehe­nde Tod der Zwillingss­chwester gehe ihr nahe. Anke Schubert ist als Hebamme des Sterbens und Mutter genau so wie Therese Dörr als sterbewill­ige Anna schon deshalb überforder­t, weil der Autor den Figuren keinerlei emotionale Entwicklun­g und Tiefgang gönnt. Um eine Erkenntnis ist man am Ende aber doch reicher. Es sieht so aus, als sei das Thema zu groß gewesen für den Autor und die Inszenieru­ng.

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FOTO: DAVID BALTZER Anna (Therese Dörr), hier mit ihrer Tochter Rose (Aniko Sophie Huber), will sterben.

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