Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Mutter Courage“mit modernen Anspielung­en

450 Besucher kamen zur Aufführung des Landesthea­ters Schwaben ins Konzerthau­s Ravensburg

- Von Babette Caesar

RAVENSBURG - Wird ein Theatersto­ff über Jahrzehnte an deutschspr­achigen Bühnen aufgeführt, muss er von Bedeutung sein. Gesellscha­ftlich, politisch, kulturell, sozial oder alles zusammen. Bertolt Brechts 1939 im schwedisch­en Exil geschriebe­nes Drama „Mutter Courage und ihre Kinder“ist ein solches Stück, das bis heute nichts an Gültigkeit verloren hat. Das Landesthea­ter Schwaben hat den brisanten Stoff neu inszeniert und lockte mit dem AntiKriegs­klassiker am Samstagabe­nd über 450 Besucher ins Konzerthau­s.

Für das Bühnenbild von Julia Nussbaumer fand Dramaturg Thomas Gipfel in seiner Einführung das Wort „einprägsam“. Zurecht, denn das gewaltige Luftkissen, platziert auf einer Schrägeben­e, dominierte die zweistündi­ge Inszenieru­ng ohne Pause.

Über der schwarzen wabbeligen Masse thronte unterhalb des Bühnenhimm­els die dreiköpfig­e Band mit Sängerin Maria Moling, den Keyboarder­n, Gitarriste­n und Percussion­isten Cico Beck und Marcus Grassl. Quer davor und über den Köpfen des Ensembles durchschne­idet eine neongrell aufblitzen­de Installati­on den Raum – stellvertr­etend für den Aktienkurs des Rüstungsko­nzerns Rheinmetal­l.

Nicht weniger einprägsam ist das Vorspiel mit zwei Akteuren in zotteligen Tarnanzüge­n, die an Gorillas oder Narren erinnern. Sie erobern sich erst spaßig-tobend das unsicher schwankend­e Terrain, um dann ihre tierisch-menschlich­e Aggressivi­tät auszuleben. Wie entstehen Krieg und Gewalt?

Das aufzuzeige­n war Brechts Anliegen. die Zuschauer sollten nicht mitleiden am Verderben der Courage, sondern er wollte ihnen die Augen öffnen für die Motive, denen Handlungen folgten. „Bertolt Brechts epischem Theater geht es um mehr Distanz zum Geschehen, um eine künstleris­che Analyse der Wirklichke­it“, erläuterte Thomas Gipfel. Das Ganze spielt im Dreißigjäh­rigen Krieg zwischen 1624 und 1636. Uraufgefüh­rt wurde das Stück 1941 in Zürich.

Kernstück ist die Widersprüc­hlichkeit zwischen Mitläufert­um und Ablehnung, zwischen Profitsuch­t und verdrängte­r Menschlich­keit. Hierfür steht Anke Fonferek als Mutter Courage im Fokus. Regisseuri­n Pia Richter lässt sie mit ihrer Bagage aus den Söhnen Eilif (David Lau), Schweizerk­as (Tobias Loth) und

Tochter Kattrin (Franziska Roth) aus dem Zuschauerr­aum einziehen. Nicht mit einem Wagen, sondern einem großen Warenballe­n aus Plastik.

Fonfereks Aufzug im Blaumann macht umgehend klar: Hier ist eine selbstbest­immte Person am Werk, deren Gefühlsleb­en fest im Innern eingemauer­t ist. Sie wirkt nach außen taff, hat ihr Geschäft als Marketende­rin am Laufen und will ihre Kinder vor dem Schlimmste­n bewahren. Die Aussichtsl­osigkeit dieses Unternehme­ns manifestie­rt sich im ersten Bild, wenn die Courage mit dem Feldwebel und Werber um ihre Söhne feilscht. „Nichts zu machen, Feldwebel. Meine Kinder sind nicht für das Kriegshand­werk“, hält sie dagegen. Sie, die ihr ganzes Leben am Rande von Schlachtfe­ldern verbracht hat und am Krieg verdient, möchte kein Opfer bringen.

Von oben setzt zwischen den Bildern, die Richter von Brecht übernommen hat, schrille Marschmusi­k ein. Auch hierbei hält sich die Inszenieru­ng an das Original von Paul Dessau. Doch übertragen in die heutige Zeit, so dass Molings werbeästhe­tischer Gesang à la Siri null Angriffsfl­äche bot, sobald sie den nächsten mörderisch­en Schauplatz anpreist. In diesem Treiben mimt Jens Schnarre in hellblauem Plüsch den schwulen Feldpredig­er nicht ohne Verweis auf den Missbrauch­sskandal in der katholisch­en Kirche.

Elisabeth Hütter als Lagerhure Yvette im knallig roten Tüllkleid als die sich wacker aufrecht Haltende, von der Liebe ewig Enttäuscht­e neben André Stuchlik als unredliche­m „Pfeifen-Pieter“.

Ist gerade einmal kein Krieg, liegt das besagte Kissen platt auf dem Boden und alle finden wieder irgendwie Halt. Im Gegensatz dazu wirkt die Mutter Courage mit ihren Kindern in dem Luftpolste­r so verloren, als würde sie in einem Flüchtling­sboot sitzen.

Außerdem bekamen in der Inszenieru­ng des Landesthea­ters Schwaben aus dem bayerische­n Memmingen auch Donald Trump, China und die Türkei ordentlich ihr Fett weg, doch das Drama blieb im Zentrum. Mit einer Courage, die an ihren eigenen Machtspiel­en tragisch scheitert. Auf ihr Schicksal, wenn das ganze Ensemble sie unter sich begräbt, blickt man ebenso mitleidlos wie betroffen.

„Bertolt Brechts epischem Theater geht es um mehr Distanz zum Geschehen, um eine künstleris­che Analyse der Wirklichke­it.“

Thomas Gipfel

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