Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Große Streuobstwiese wird zu Asche
Landwirt rodet zwei Hektar ökologisch wertvolle Fläche bei Friedrichshafen-Unterraderach
FRIEDRICHSHAFEN - „Das ist eine riesige Schweinerei.“Das war das erste, was Christine Kaptein vom NABU Friedrichshafen dachte, als sie sah, was von der ehemaligen Streuobstwiese in der Schmalholzstraße zwischen Berg und Unterraderach übrig geblieben ist: Mannshohe Hackschnitzelberge am Straßenrand, und auf der ehemaligen Hochstammwiese selbst zwei rauchende Ascheberge, ebenfalls vom Holz der Bäume, das hier noch an Ort und Stelle verbrannt wurde.
Am Samstag, 22. Februar, fielen hier auf einer Fläche von rund zwei Hektar sämtliche Hochstammbäume. Angeblich im Morgengrauen rückten „acht bis zehn Großschlepper, Forstvollernter und zwei Häcksler“an und verwandelten die Bäume „mit einer perfekt durchorganisierten Logistik“zu Kleinholz. So schildert das ein Unbekannter, der in einem anonymen Brief NABU und BUND über den „Baumfrevel unvorstellbaren Ausmaßes“informierte, sowie die Untere Naturschutzbehörde im Landratsamt, die jetzt prüft, ob die Aktion rechtliche Konsequenzen hat.
Daran scheint es beim Blick ins Naturschutzgesetz wenig Zweifel zu geben: Die großflächige Rodung von Streuobstbeständen ist genehmigungspflichtig. Wenn ohne Genehmigung gerodet wird, ist das ein Gesetzesverstoß. Der Besitzer der jetzt zerstörten Streuobstwiese, ein 76-jähriger Landwirt, will von einer Genehmigungspflicht nichts gewusst haben. Ein Gutachten über die Tierarten, die auf der Streuobstwiese lebten, hat er auch nicht eingeholt. Er macht schlicht die übliche Frist des Baumfällverbots
zum Maßstab, die aber in diesem Fall nicht greifen dürfte: Wenn man die Bäume vor dem ersten März „umtut“, sagt er im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, sei alles in Ordnung. Dass Naturschützer entsetzt sind, versteht er nicht. „Jeder Naturschützer, der vorbeigelaufen ist, konnte sehen, dass die Bäume kaputt sind“, argumentiert er. Brüchig, morsch und dürr seien diese Apfelbäume gewesen, ausgesaugt vom Mistel-Bewuchs. „Die Bäume sind zusammengebrochen“, beteuert der Landwirt. Höhlungen in den Stämmen, in denen sich seltene Vogelarten oder Fledermäuse angesiedelt haben, schließt er aus: „Da hat nichts gebrütet. Die Bäume waren nicht hohl, sondern morsch.“
Christine Kaptein vom NABU verweist auf Vogelkartierungen, die eine andere Sprache sprechen. Sie verzeichnen bis zu 31 stark gefährdete oder besonders geschützte Arten auf der Streuobstwiese, darunter Grünspecht, Kuckuck, Neuntöter, Trauerschnäpper, Grauspecht, Grauschnäpper, Rotkehlchen und Ringeltaube. Mutmaßlich brüteten hier Wendehals, Gartenrotschwanz und Turmfalke. Außerdem wurde im Gebiet die Bechsteinfledermaus festgestellt sowie acht weitere Fledermausarten. Der hohe Anteil an alten Obstbäumen mit Totholz beherbergte zahlreiche Käferarten. Durch die Rodung dürften nun Tausende Larven zerstört sein, darunter der mit dem Hirschkäfer verwandte Balkenschröter. Möglicherweise
hat durch die Rodung auch die streng geschützte Haselmaus ihren Lebensraum verloren.
Das endgültige Ausmaß der Schäden wird in Zusammenarbeit mit der Unteren Naturschutzbehörde auch Tillmann Stottele abzuklären haben, Leiter der Abteilung Landschaftsplanung und Umwelt in der Häfler Stadtverwaltung. „Wir schauen in unserer Stadtbiotopkartierung nach, um uns ein Bild von der Schwere des Verlusts zu machen“, sagt er. Eines sei aber klar: „Eine Fläche dieser Größe hat eine überörtliche Bedeutung, insbesondere für den Artenschutz.“
„Das ist die größte Rodungsaktion, an die ich mich erinnern kann. Ich habe so etwas noch nie gesehen“, sagt Franz Beer vom BUND-Kreisverband, der sich schon seit 40 Jahren mit Streuobstwiesen beschäftigt. „Ich weiß nicht, ob es im Bodenseekreis überhaupt noch einen zweiten so großen, geschlossenen Streuobstbestand gibt“, sagt er. Falls ja, dann wohl nur im Gebiet Weilermühle in Friedrichshafen, mutmaßt Marion Morcher, wie Beer vom BUND. „Da stehen rund 160 Streuobstbäume.“
Wie viele Streuobstbäume an der Schmalholzstraße gefallen sind, ist unklar. Gezählt hat sie niemand, auch nicht der Bauer, der sie häckseln ließ. Warum er die Streuobstwiese zerstörte, kann er im Gespräch nicht wirklich plausibel machen. Er wolle weder ein Feld noch eine Plantage daraus machen, versichert er, und an einen anderen Bauern verpachtet sei die Fläche auch nicht. Er sei gesundheitlich angeschlagen und wolle, ebenso wie seine Frau, aus der Landwirtschaft aussteigen. „Ich verschnauf ’s nicht mehr“, erzählt er. Streuobstwiesen als Stiefkinder der Landwirtschaft aufzufassen, hinkt der Entwicklung hinterher. Es gibt von der Stadt Friedrichshafen wie vom Land Förderprogramme für Streuobstwiesen, deren hoher ökologischer Wert längst anerkannt ist. Solche Subventionen für den Erhalt und die Pflege der Streuobstwiese habe er aber nicht erhalten, sagt der Landwirt. „Dazu hätte ich einen Antrag stellen müssen. Das habe ich nicht gemacht.“Auch habe er sich um den Zustand der Bäume schon lange nicht mehr gekümmert, die durchaus noch Äpfel getragen hätten. „Man kann wirklich nicht mehr sagen, dass Streuobst nichts wert wäre“, sagt Beer.
„Das Obst aus den immer geringer werdenden Streuobstbeständen im Bodenseekreis werde von den Mostereien gesucht, die Preise für biozertifizierte Ware seien gut bis sehr gut. Beer versteht die Rodung grundsätzlich nicht: „Gerade aus dem Kreis der Obstbauern kommt die Aussage, dass sie die Artenvielfalt stützen wollen. Sie stellen sich als Naturschützer dar. Für eine solche Rodung fehlt mir dann jedes Verständnis.“