Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein richtiges Zeichen zum falschen Zeitpunkt

- Von Felix Alex

Affenlaute auf Schalke und in Münster. Rassistisc­her Hass in Italien. Die Spiele gehen weiter, die betroffene­n Kicker werden teilweise daran gehindert, den Platz zu verlassen, die Show muss weitergehe­n. Aber bei einem zugegeben äußerst dummen und verachtens­werten „Hurensohn“-Plakat gegenüber Mäzen Dietmar Hopp hört das Verständni­s in der Bundesliga auf. Damit wir uns richtig verstehen: So etwas muss sich niemand gefallen lassen – auch ein Hopp nicht. Dennoch könnte man den Eindruck gewinnen, die DFL schützt nicht diejenigen, die Opfer von Rassismus und Homophobie werden, sondern – so zumindest Stand jetzt – nur Milliardär­e. Dabei sind die Banner nur der gar nicht so junge Auswuchs eines Kulturkamp­fes gegen das, wofür ein Hopp steht – sowie gegen die Verbands-Unternehme­n DFL und DFB.

Seit Sommer gibt es bei Vorfällen den Drei-Stufen-Plan: Unterbrech­en, Spieler vom Platz nehmen, Spiel abbrechen. Der DFB präsentier­te nun die harte Hand. Doch eben nicht bei rassistisc­hen Entgleisun­gen, nicht bei Fadenkreuz-Bannern oder ähnlichen verfassung­swidrigen Äußerungen erfolgte dieser Kraftbewei­s. Der Grund war eine sehr plumpe, unflätige und dumme Form der Kommerzkri­tik, die sich gegen den personalis­ierten Zeitgeist-Dämon der Ultras richtete. Die Fans haben derzeit ihren billigen Weg gefunden, um mit fantasielo­ser Beleidigun­g Aufmerksam­keit zu generieren. Das Banner in Sinsheim war eine Reaktion auf die aus ihrer Sicht Wiedereinf­ührung der Kollektivs­trafen (Dortmunder Fans dürfen zwei Jahre lang ihr Team nicht nach Hoffenheim begleiten). „Auch wenn uns die Strafe nicht betrifft und das Thema Hopp für uns nicht so eine starke Relevanz hat, sehen wir hierin einen Angriff auf Fanrechte im Allgemeine­n“den sie nicht hinnehmen konnten, schrieben die Bayern-Fans auf suedkurvem­uenchen.org. Wenn der Platz ausgereich­t hätte, hätten die Ultras an diesem wegweisend­en 29. Februar 2020 also wohl auch noch „Red Bull du Hurensohn“, „Kollektivs­trafen ihr Hurensöhne“und – was sich später in Köln, am Folgetag in Berlin auch andernorts wirklich zeigte, „Fick dich DFB“aufs Banner gepinselt.

Doch auch so griff der Schiedsric­hter Christian Dingert – nun anders als auf Schalke und in Münster – wohl ganz im Sinne des DFB rigoros durch, nahm die Spieler zweimal vom Platz, anschließe­nd gab es 13 Minuten einträchti­ges Ballgeschi­ebe zur Zeichenset­zung durch die Profis mit anschließe­ndem „Wir-stehenihm-zur-Seite“-Applaus. Eine gutgemeint­e Aktion, die sich allerdings als vollkommen­er Bärendiens­t erweisen könnte – weil er eben nicht im Verhältnis zu all dem steht, was die Wochen zuvor geschah. Es ist immer schwierig, Verfehlung­en gegeneinan­der aufzurechn­en, die Grenze zwischen strafbaren Handlungen und geschmackl­osen Beleidigun­gen zu ziehen, dennoch müssen sich alle Beteiligte­n nun Fragen gefallen lassen. G Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge sprach vom „hässlichen Gesicht des Fußballs“. DFB-Präsident Fritz Keller fand klare Worte im Sportstudi­o, in dem sich Anteilnahm­e und Empörung abwechselt­en. Allerdings wurde alles in einen

Topf geworfen, von Rassismus über Hanau bis hin zu den Plakaten.

Was die Verantwort­lichen wollten und wollen ist, ihr Produkt Fußball so schön wie möglich zu halten – ohne störende Kritik. Die oft als „sogenannte Fußballfan­s“bezeichnet­en Anhänger sind dagegen oft unbequem. Sie üben Kritik am reinen Kommerzapp­arat, mischen sich ein und – das wird oft vergessen – stehen seit Jahrzehnte­n gegen Rassismus ein. Von all ihren Überzeugun­gen werden sie nun nicht abweichen. Noch schlimmer aber ist, dass die DFL nun den Kampf gegen die Ultras offiziell eröffnet hat, die sich nun mehr und mehr solidarisi­eren.

Etwa zeitgleich mit Sinsheim zeigten die BVB-Fans ein Banner mit der Aufschrift: „Wer die Toten von Hanau missbrauch­t, um die Fankurven mundtot zu machen, der beweist mehr Anstandslo­sigkeit als jedes Fadenkreuz.“Ab sofort dürfte fast kein Spiel mehr ohne „Hurensohn“-Rufe und ein solches Plakat auskommen. Ein Spielbetri­eb wird nach dem durch die DFL geschaffen­en Präzedenzf­all bei diesen Maßstäben unmöglich werden, kein Duell über die volle Distanz gehen. Der 29. Februar wird daher nicht als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem sich der deutsche Fußball zum ersten Mal vollends und geschlosse­n gegen Rassismus stellte. Es wird der Tag bleiben, an dem der Kulturkamp­f erst so richtig begann.

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FOTO: HARTENFELS­ER/IMAGO IMAGES Der Tick zu viel: das Banner der Bayern-Fans.
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