Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Objekt der Begierde
Wegen des Coronavirus gibt es kaum noch Atemschutzmasken – Krankenhäuser und Pharmakonzerne im Südwesten kämpfen mit Lieferengpässen
RAVENSBURG - Die Angst vor dem Coronavirus sorgt seit Wochen für Engpässe von Schutzmasken in Apotheken und Drogeriemärkten. Nun klagen offenbar auch die Krankenhäuser über Lieferschwierigkeiten, wie ein Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“bestätigt. „Es betrifft alle Krankenhäuser quer durch Deutschland“, sagt der Sprecher am Freitag. Vor allem für Schutzkleidung, chirurgischen Mundschutz und Atemschutzmasken werde der Nachschub knapp. Die Preise für Schutzmasken aus Restposten explodieren derweil.
Wirklichen gesundheitlichen Schutz bieten nur sogenannte Atemschutzmasken ab Schutzklasse FFP2 oder FFP3. Normalerweise kostet eine Atemschutzmaske vom Typ FFP2 laut DKG-Sprecher rund 70 Cent. Beim Onlineversandhändler Amazon werden derzeit zwei Masken dieses Schutztyps für knapp 150 Euro angeboten. Zwei FFP3-Masken kosten sogar rund 200 Euro. „In der derzeitigen Notlage ergeben sich tatsächlich Wucherpreise“, sagt der DKG-Sprecher.
Selbst auf den einfachen chirurgischen Mundschutz – eine Art Stoffstreifen aus Vlies mit Gummibändern – gilt derzeit ein Preisaufschlag von bis zu 1000 Prozent auf dem Markt. Statt des üblichen Stückpreises von zehn Cent, gibt’s den Zehnerpack bei Amazon momentan für zehn Euro. Obwohl der handelsübliche Mundschutz keinerlei Schutz von außen bietet, erst recht nicht vor dem neuartigen Coronavirus SarsCoV-2.
Der chirurgische Mund-Nasen-Schutz soll vielmehr andere Menschen vor den eigenen Keimen schützen – üblicherweise Patienten im Operationssaal vor den Keimen des Arztes.
Laut DKG werden die meisten Schutzmasken in China produziert. Da das Coronavirus die dortige Produktion größtenteils lahmgelegt hat, muss besonders der europäische Markt die Engpässe auffangen.
Beim Pharmakonzern B. Braun, zu dem auch der Medizintechnik-Hersteller Aesculap aus Tuttlingen gehört, ist die gestiegene Nachfrage nach Schutzmasken, Handschuhen und Desinfektionsmitteln deutlich zu spüren. Masken sind laut Sprecher
bereits nicht mehr verfügbar. Auch bei Desinfektionsmitteln müsse mit „temporären Lieferengpässen gerechnet werden“, heißt es auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“.
Einer der weltweit führenden Hersteller von Atemschutzmasken ist 3M. Der US-Konzern aus Saint Paul, Minnesota, hat auch eine deutsche Niederlassung mit Hauptsitz in Neuss bei Düsseldorf. „Die weltweite Nachfrage nach Atemschutzmasken übersteigt derzeit das Angebot“, sagt eine Sprecherin über die aktuelle Lage. 3M habe daher die Produktion in den USA, Asien und auch in Europa „so schnell wie möglich hochgefahren“. Um der globalen
Versorgung trotz Unterangebot nachkommen zu können, räume 3M „derzeit betroffenen Gebieten mit dem größten Bedarf den Vorrang ein“, sagt die Sprecherin.
Auch bei Hartmann aus Heidenheim ist die Nachfrage nach Masken und Desinfektionsprodukten in den vergangenen Wochen stark angestiegen, bestätigt ein Sprecher. Die Hartmann-Gruppe produziert und vertreibt weltweit Medizin- und Pflegeprodukte und hat Standorte in 36 Ländern. Bei der Zulieferung der Materialien ist der Produzent von Mundschutzmasken ebenfalls auf Rohstofflieferungen aus China angewiesen. Die Belieferung aus China sei branchenweit „durch die jetzige
Situation erschwert“, sagte ein Firmensprecher.
Hartmann habe daher bereits frühzeitig entschieden, nur noch Produkte an Kunden zu liefern, die dringenden Bedarf haben. „Der Zweck und Haupteinsatzort unserer OP-Masken ist der Operationssaal und somit im Krankenhausumfeld. Hierfür ist der große Anteil der Masken bestimmt“, sagt der Sprecher.
Das Robert-Koch-Institut hatte vergangene Woche bereits zu einem „schonenden Einsatz von Mund-Nasen-Schutz und FFP-Masken“aufgerufen. Die Masken sollten – wenn möglich – mehrfach benutzt werden, heißt es in der Pressemitteilung. Um sich ein besseres Bild von der Versorgungslage in den Kliniken zu verschaffen, hat das Sozialministerium in Baden-Württemberg die Krankenhäuser im Südwesten befragt, ob sie Lieferschwierigkeiten haben.
54 Krankenhäuser nahmen an der Umfrage teil. Das Ergebnis liegt der „Schwäbischen Zeitung“vor: Demnach haben bereits vor zwei Wochen 70 Prozent der Krankenhäuser im Südwesten vor Engpässen von FFP2Masken im Falle einer Epidemie gewarnt. Auch bei der Versorgung mit Mund-Nasen-Schutz und FFP3-Masken sahen die Hälfte der befragten Krankenhäuser Lieferengpässe voraus.
Zwei Wochen nach diesen prognostizierten Versorgungslücken scheint sich die Sorge der Krankenhäuser zu bestätigen. „Was wir derzeit wissen, ist, dass alle Krankenhäuser in Deutschland Engpässe und Schwierigkeiten haben, neue Schutzkleidung und Masken zu bekommen“, sagt der Sprecher der DKG.