Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kultur leben Von Wolfram Frommlet
Einen Hauch Skepsis mag man, bei genauer Kenntnis des Jazz mitbringen, wenn man sich aufmacht, die jüngste
Uraufführung im Stadt- theater Konstanz zu besuchen: „Wonderful World. Ein Liederabend mit den Welthits des Jazz“. Ist doch ein Liederabend meist eine Form bürgerlicher Erbauung, bei der im feinen Outfit manche verzückt die Augen verdrehen. Während der Jazz in einer anderen Kultur entstand und häufig andere Geschichten erzählt. Nach gut zwei Stunden ist jede Skepsis Begeisterung gewichen, weil dem Texter und Regisseur Mark Zurmühle mit seinem brillanten Team aus Technik, Besetzung, Musikern und Schauspielern eine pralle Jazzshow und eine hochaktuelle Geschichte des Jazz gelang. Die dramaturgischen Linien kreisen um historische Figuren des schwarzen Amerika aus den Zwanziger
Jahren der „schwarzen Kultur“aus den Ghettos des Südens bis in die Aufstände aus der Zeit des Vietnamkriegs: reale wie Louis Armstrong, Martin Luther King, fiktive wie die schwarze Sängerin, die ihren Vater sucht, von dem sie meint, dass es sich da um den Star „Satchmo“Armstrong handele. Eine raffinierte Dramaturgie macht diesen Abend auf ganz ungewöhnliche Weise „brechtisch“, bricht Dokumentarisches und Fiktion, Video und Bühne, Figuren werden gedoubelt, treten aus der Rolle, sind zwei-, gar mehrfach besetzt, Bühne und Orchestergraben vermischen sich in ihren Funktionen. Dieser Abend spiegelt die Multikulturalität des Jazz, und Besucherinnen brachten es im Gespräch in der Pause auf den Punkt: Es sei faszinierend, diese Vielfalt an Stimmen, an Musikalität in diesem doch relativ kleinen Haus zu erleben. Unfassbar geradezu, wie
es gelang, diese Internationalität zu engagieren. In der Tat eine phänomenale Besetzungsleistung. Wenn Siggy Davis, die in den USA wie in Deutschland auf renommierten Musicalbühnen glänzte, als Armstrongs Tochter Welthits von Gershwin bis Ellington präsentiert, wie man sie in dieser Stadt wohl nie hörte. Da ist O’tooli Masanza, die ihre Theaterlaufbahn auf den Plätzen im afrikanischen Malawis begann. Da ist Ramsès Alfa aus Togo mit seinem eigenen, authentischen Deutsch, das er, auf besten deutschen Bühnen integriert, als „Fremder“erlernte und als Akteur und Regisseur an vielen deutschen Bühnen, auch in Konstanz seit über zehn Jahren, als wundervolle Bereicherung uns zurückgibt. Und dann fährt Terrence Ngassa aus Kamerun im weißen Anzug aus dem Orchestergraben auf die Bühne, mit dem Strahlen und grummeligen Bass Louis Armstrongs
und „What a wonderful World“auf den Lippen, in der Trompete. Keine peinliche Kopie, sondern eigenwillige Interpretation der amerikanischen JazzLegende durch einen der besten Jazzer Afrikas, der an einer deut-schen Musikhochschule studieren konnte und Mitglied des Europe Africa Jazz Orchestra war. Mit ihm im Orchestergraben vier weiße Musiker, im Originalsound die Großen des Jazz spielend, dass man die Luft anhält. Welch eine Aktualität: Auf dem Cover der soeben in London erschienenen, schockierenden Dokumentation „Voices of the Windrush Generation“ein Schwarzer aus der Karibik mit der Trompete, wie Satchmo. Rassismus ist, sehr aktuell und sehr subtil, ein Thema von „Wonderful World“, weil der Jazz, der immer Musiker egal welcher Nation, Hautfarbe oder Kultur zusammenbrachte, auch soziale Konflikte thematisierte. Und, wie Martin Luther King zitiert wird, „eine neue Hoffnung daraus machte“. Die nächsten Vorstellungen unter www.theater@konstanz.de