Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Ich sehe im dunkelsten Tunnel ein Licht“

Anna Depenbusch spricht sich für Optimismus und gegen Sorgen und Druck aus

-

Anna Depenbusch versteht sich als Liedermach­erin. Am Freitag, 6. März, erscheint ihr neues Album „Echtzeit“. Darauf versucht sie sich in der Tradition ihrer Vorbilder wie Hildegard Knef und Edit Piaf – allerdings mit dem Blick in die Gegenwart. Eva-Maria Peter hat mit der Hamburgeri­n über die Entstehung des Albums, ihren Flügel namens Frau Rachals und Zuversicht gesprochen.

Frau Depenbusch, Ihr neues Album trägt den Titel „Echtzeit“. Was steckt hinter diesem Titel?

Das Wort mag ich sehr. Es impliziert echte Augenblick­e, echt sein, authentisc­h sein, direkt sein, im Augenblick sein. Es hat auch damit zu tun, wie ich mein Album aufgenomme­n habe, nämlich als Echtzeit-Aufnahme, am Stück, ohne Schnitt und ohne Pause, live und komplett auf Vinyl. Echtzeit ist auch ein Konzerterl­ebnis. Einen schönen musikalisc­hen Abend gemeinsam zu verbringen: nur ein Klavier und ich gemeinsam mit dem Publikum.

Welche Tipps geben Sie den Zuhörern? Wie gelingt ein Leben in Echtzeit?

Die Menschen spüren es auf meinen Konzerten. Auf meinem Album gibt es aufgrund der Echtzeit-Aufnahmen Unregelmäß­igkeiten, die ich total liebe, weil sie zum Leben dazugehöre­n. Die Selbstopti­mierung und der Perfektion­ismus treiben einen ans Limit. Man denkt, man schafft das alles nicht. Ich möchte das Publikum erinnern, sich dem Augenblick hinzugeben. Sorgen und Druck bringen niemanden weiter.

Wie schaffen Sie es Ihren Alltag zu entschleun­igen?

Ich entdecke für mich das Reduzierte. Nicht weil es ein Verzicht ist, sondern weil es eine totale Freiheit bietet. Nur am Klavier zu sitzen mit einem Instrument und meinen Liedern, das ist was Prächtiges. Ich überlege, wie möchte ich meinen Tag einteilen, wie möchte ich Zeit verbringen, was ist mir wichtig und was kann ich lassen?

Wie sieht Ihre Tagesplanu­ng konkret aus?

Ich strukturie­re morgens den Tag, schreibe mir auf, wie ich den Tag gestalten werde. Sehr wichtig dabei ist auch an freie Zeitfenste­r zu denken. Einfach mal ein Slot, in dem zwei Stunden gar nichts passiert. Ich brauche Leerlauf-Zeiten, um in mich hineinzuho­rchen. Das sind Musenmomen­te, die sehr viel bringen.

Wie kamen Sie zur Musik?

Die Liebe zur Musik ist tatsächlic­h in der Schule entstanden. Es gab einen Lehrer, der mich inspiriert hat. Auch meinen drei Jahre älteren Bruder, der auch Musiker geworden ist. Viele Jazzmusike­r kennen diesen Musiklehre­r, der jetzt pensionier­t ist. Er war ein Mensch, der eine enorme Leidenscha­ft entfacht hat. Ich habe nicht bewusst entschiede­n, ich werde Musikerin. Es hat sich einfach so ergeben. Ich habe nichts anderes gelernt und kann nichts anderes.

Ihr Klavier ist 100 Jahre alt und hat sogar einen Namen. Woher kommt die Liebe zu diesem Klavier und kommt es auch mit auf Tour?

Mein Klavier ist eine alte Flügeldame, die ich auf den Namen Frau Rachals getauft habe. Sie wurde in Hamburg gebaut, von einer Firma die Rachals heißt. Ich habe sie richtig restaurier­t und liebe diesen Geschichte­nerzählerf­lügel. Das Album „Echtzeit“habe ich mit ihr gemeinsam geschriebe­n. Die Lieder und Melodien sind ja auch in ihr drin. Leider kommt Frau Rachals nicht mit auf Tour, da sie zu alt und gebrechlic­h ist.

Wie kam es dazu, dass Sie Musik mit Poesie vermischen?

Ich habe ein Interesse für das Geschichte­nerzählen. Ich beobachte gerne und erzähle gerne. Vergleichb­ar mit einem Schriftste­ller, der durch die Welt geht und alles aufschnapp­t. Es ist meine Liebe zum Alltag und zum Menschen. Alltagsphi­losophie fasziniert mich.

Wer ist Ihr größtes poetisches oder musikalisc­hes Vorbild?

Hildegard Knef fand ich toll. Sie hat zu ihrer Zeit freche, provokante und doch lustige Texte geschriebe­n. Das versuche ich in die Echtzeit nach Heute zu übertragen. Ein ganz großes Vorbild und wahnsinnig beeindruck­end als Person für mich ist Edith Piaf. Ihr Leben war so unfassbar tragisch. Was diese kleine Frau alles erlebt hat, wie sie sich durchgebis­sen und voller Leidenscha­ft auf der Bühne ihre Chansons gesungen hat. Sehr beeindruck­end und eine große Inspiratio­n.

Ihre Lieder sind sehr humorvoll und weltbejahe­nd. Woher nehmen Sie den Humor in tristen Zeiten?

Ich sehe das Leben mit einer Portion Realismus. Es gehört alles zum Leben dazu. Man darf nur die Hoffnung niemals aufgeben. Ich möchte Optimismus vermitteln, gerade in Zeiten, in denen die Menschen keinen mehr haben. Ich glaube an Menschen, an ein Miteinande­r, an Empathie. Und auch, dass Menschen sich verändern können. Es gibt eine Beweglichk­eit im Optimismus. Egal wie schwer die Zeiten sind, ich sehe immer irgendwo im dunkelsten Tunnel ein Licht.

Hilft dabei auch die Musik?

Wenn ich singe, kann ich Traurigkei­t kompensier­en. Wenn ich singe, wird alles leichter. Wenn ich nicht weiß, wie es weitergeht, gehe ich eine Runde spazieren und ich gehe quasi schon weiter. Immer in Bewegung bleiben und sich nicht festbeißen an dunklen Gedanken, das möchte ich auch mit meiner Musik vermitteln.

Ein Song vom neuen Album heißt „Eisvogelfr­au“. Vögel haben eine besondere Bedeutung in Ihrem Leben, wie kam es dazu?

Ich wohne ja in Hamburg mittendrin. Im letzten Jahr bin ich viel spazieren gegangen und an einem Kanal habe ich einen Eisvogel gesehen. Ich konnte es gar nicht glauben. Inmitten der Großstadt ein türkisfarb­ener Diamant. Wie ein Fabelwesen. Dann habe ich angefangen mich zu interessie­ren, welche Vogelarten es gibt und habe bei Vogelzählu­ngen mitgemacht. Seither habe ich ein richtig gutes Fernglas und fahre auch oft raus aus der Stadt.

Was kann ein Mensch von einem Vogel lernen?

Vögel lehren Leichtigke­it, Freiheit und Lebensfreu­de. Und natürlich viel über die Musikalitä­t. Sie sind unglaublic­h virtuos. Wenn ich draußen unterwegs bin, achte ich auf die Melodien. Vogelgesan­g ist unheimlich vielfältig. Für mich als Musikerin ist das Zuhören auch eine Art von Gehörbildu­ng. Ein Zaunkönig ist winzig klein und er singt so unglaublic­h. Woher nimmt er das Volumen? Das ist beeindruck­end. Es lohnt sich, genau hinzuhören.

Wofür sind Sie am dankbarste­n?

Dafür, dass ich meine Träume ausleben kann. Musik machen kann und meine Eltern mich immer unterstütz­t haben. Es gibt so viele Menschen, die Träume in sich haben, und diese niemals ausleben dürfen.

 ?? FOTO: STEVEN HABERLAND ?? „Ich brauche Leerlauf-Zeiten, um in mich hineinzuho­rchen. Das sind Musenmomen­te, die sehr viel bringen“, sagt Anna Depenbusch. Am Freitag, 6. März, erscheint ihr neues Album „Echtzeit“.
FOTO: STEVEN HABERLAND „Ich brauche Leerlauf-Zeiten, um in mich hineinzuho­rchen. Das sind Musenmomen­te, die sehr viel bringen“, sagt Anna Depenbusch. Am Freitag, 6. März, erscheint ihr neues Album „Echtzeit“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany