Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Coronavirus: Junge Frau wird überall abgewimmelt
Ravensburgerin war in Mailand und wurde krank, aber niemand fühlt sich zuständig
RAVENSBURG - Das Coronavirus breitet sich in Europa aus. Trotzdem halten Ärzte und Behörden sich offenbar nicht an die Empfehlung des Robert-Koch-Instituts, Verdachtsfälle zu überprüfen. Das beweist der Fall einer jungen Frau aus Ravensburg, die niemand testen wollte.
Die 29-Jährige, die sich an die „Schwäbische Zeitung“gewandt hat, arbeitet in der Textilindustrie. Am Telefon klingt sie weder aufgeregt noch hysterisch, sondern eher ratlos. Bis zum 17. Februar war die Ravensburgerin auf einer Messe in Mailand, und Mitte vergangener Woche verspürte sie leichte Erkältungssymptome: „Am Mittwoch einen Schnupfen, der weit hinten zu sitzen scheint, am Donnerstag kamen ein Kratzen im Hals und ein trockener Husten dazu.“Die Geschäftsführung ihres Unternehmens empfahl allen Mitarbeitern, sich auf das neuartige Coronavirus testen zu lassen, falls sie 14 Tage nach der Rückkehr von der Messe in Mailand Krankheitssymptome verspüren sollten. „Also rief ich am Donnerstagabend bei meinem Hausarzt an, aber die Sprechstundenhilfe sagte mir, ich sollte mich ans Gesundheitsamt oder ans EK wenden.“
Beim Elisabethen-Krankenhaus (EK) in Ravensburg wiederum verwies man sie telefonisch an den Hausarzt zurück, weil dieser eben doch zuständig sei. Erst wenn der Hausarzt einen Test veranlasse, könne der am EK durchgeführt werden. „Also habe ich am Freitagmorgen wieder in der Praxis angerufen, und wieder dasselbe.“Schließlich versuchte die Frau, das Gesundheitsamt in Ravensburg zu erreichen. Doch keine Chance. Irgendwann kam sie beim Bürgerbüro des Landratsamtes heraus. „Da fragte man mich, ob es um Corona gehe. Ich sagte Ja. Daraufhin meinte die Frau, die Kollegen vom Gesundheitsamt seien leider so überlastet, dass keiner mehr ans Telefon gehe.“
Die Ravensburgerin beschloss also, am Wochenende zu Hause zu bleiben. „Ich habe auf meinen Samstagsprosecco verzichtet und es mir gemütlich gemacht.“Am Montag ist sie wieder zur Arbeit gefahren, weil sie sich gesund fühlte. Doch ein mulmiges Gefühl bleibt: Ihr ist klar, dass sie theoretisch infiziert sein und andere anstecken könnte. Aber was soll sie machen, wenn keiner sie testen will? „Das ist eine bescheuerte Situation. Ich habe mich an alles gehalten, überall angerufen, aber niemand möchte etwas damit zu tun haben.“
Presseanfragen zum Thema Coronavirus darf die Oberschwabenklinik (OSK), zu der das EK gehört, seit Freitag nicht mehr beantworten, der Kreis Ravensburg als Hauptträger des kommunalen Klinikverbunds will sich des Themas ab sofort selbst annehmen. Pressesprecher Franz Hirth kann sich nicht vorstellen, dass seine Kollegen vom Gesundheitsamt bewusst nicht mehr ans Telefon gehen würden. „Ich kann mir das nur so erklären, dass nicht die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes überlastet waren, sondern die Technik beziehungsweise die Leitung. Wir erhalten gerade unzählige Anrufe.“Hirth kann nicht verstehen, dass niedergelassene Ärzte sich dem Thema einfach verweigern. Bis dato hätten sie immer großen Wert darauf gelegt, „dass sie und nicht eine ,Staatsmedizin’ die Patienten betreuen und kompetent versorgen“.
Hans Bürger, Vorsitzender der Kreisärzteschaft, will sich erst am Dienstag zum Thema äußern, wenn er den Fall näher untersucht hat. Es könne ja sein, dass die betreffende Sprechstundenhilfe der Hausarztpraxis, die die 29-Jährige zweimal abgewimmelt hat, falsch informiert gewesen sei. Aber ist es nicht ein krasser Verstoß gegen den Eid des Hippokrates, wenn Ärzte sich weigern, ihren Patienten zu helfen? „Es wäre auch ein Verstoß gegen die Berufsordnung, die das Verhältnis von Arzt und Patient regelt“, sagt Bürger. Die junge Frau könnte also Beschwerde bei der Ärztekammer einlegen und sich an die kassenärztliche Vereinigung wenden. Nach SZ-Informationen sind am EK übers Wochenende einige Menschen getestet worden, ein begründeter Verdachtsfall war aber wohl noch nicht darunter.