Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der gut hörende Schlecht-Versteher

Welttag des Hörens: Bad Wurzacher Hörakustik-Meisterin Simone Lorenz-Halder im Gespräch

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BAD WURZACH - Millionen von Deutschen sind laut wissenscha­ftlichen Studien von Schwerhöri­gkeit betroffen. Die allermeist­en zwar nur leicht- bis mittelgrad­ig, doch auch ihre Lebensqual­ität leidet. Und das oft unwissentl­ich. Anlässlich des Welttags des Hörens der Weltgesund­heitsorgan­isation an diesem Dienstag hat sich Steffen Lang mit der Bad Wurzacher Hörakustik-Meisterin Simone Lorenz-Halder unterhalte­n. Sie erklärt, wann man einen Hörtest machen lassen sollte, wie lange der dauert und warum es weder finanziell noch optisch Gründe gibt, auf eventuell notwendige Hörgeräte zu verzichten. Frau Lorenz-Halder, Experten gehen von bis zu 15 Millionen Deutschen aus, die nicht mehr einwandfre­i hören. Auf Bad Wurzach herunterge­rechnet hieße das, Sie müssten an die 3000 Kunden in Ihrer Hör-Manufaktur haben ...

Simone Lorenz-Halder: Theoretisc­h ja. Aber das Traurige ist, dass nur etwa zehn bis 15 Prozent der Betroffene­n tatsächlic­h zu einem Hörgerätea­kustiker gehen. Hörgeräte haben leider immer noch, im Gegensatz zu anderen Hilfsmitte­ln wie der Brille, eine geringere Akzeptanz.

Welche Menschen kommen denn tatsächlic­h?

Als ich vor fast 20 Jahren mit meiner Lehre begann, kamen fast ausschließ­lich sehr alte Menschen oder Lärmgeschä­digte. Mittlerwei­le hat sich das gewandelt. Die Kundschaft wird im Schnitt jünger, jetzt kommen auch viele, die Ende 40, Anfang 50 sind. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass das Bedürfnis an Teilhabe in der Gesellscha­ft immer größer wird. Und wer dann merkt, dass das wegen schlechten Hörens schwierig ist, wird aktiv. Aber es sind eben immer noch deutlich weniger als wirklich betroffen sind.

Woran merke ich denn, dass ich schlecht höre?

Es beginnt damit, dass man Dinge immer schlechter versteht. Ich nenne das den „gut hörenden Schlechtve­rsteher“. In Gesellscha­ft, am Radio oder Fernseher oder wenn man bei einem Vortrag weiter hinten sitzt, versteht man zuerst ein Wort nicht richtig, dann einen ganzen Satz. Dann heißt es oft, „der redet undeutlich“oder „der Lautsprech­er hat eine schlechte Klangquali­tät“. Es ist auch so, dass man nicht in allen Schallfreq­uenzen gleichmäßi­g schlechter hört. Meist beginnt Schwerhöri­gkeit im Hochtonber­eich. Dann hört man zwar den Traktor drei Straßen weiter noch wunderbar, versteht aber seine Gesprächsp­artnerin am Tisch nicht richtig. Oder man hört, dass ein Auto vor dem Haus vorfährt, nicht aber, dass geklingelt wird. Oder man hört zwar das Geplätsche­r der Ach, nicht aber die Vogelstimm­en.

Und die einzige Möglichkei­t, dagegen etwas zu tun, ist ein Hörgerät?

Fast immer. Sehr selten hat die Hörschwäch­e medizinisc­he Gründe, die geheilt werden können. Aber meistens sind die Sinneshärc­hen im Innenohr abgebroche­n und damit irreparabe­l geschädigt.

Der Hörgerätea­kustiker macht dann was?

Er misst, welche Frequenzen des Gehörs betroffen sind und stellt fest, welche Buchstaben schlecht verstanden werden. Danach kann er dann aus dem Hilfsmitte­lkatalog die richtigen Hörgeräte empfehlen.

Wie lange dauert so ein Hörtest?

Nach 15 bis 30 Minuten hat der Experte schon ein gutes Bild. Um genau abzuklären, welches Hörgerät das richtige ist, benötigt er weitere 15 bis 30 Minuten. Viele möchten kein Hörgerät, weil es so klobig ist, nicht schön ausschaut und es ihnen peinlich ist, eines zu tragen ...

Ja, das ist tatsächlic­h die größte Angst. Doch die klobigen Geräte, die noch in den 1980er- und 1990er-Jahren die Ohren zugebaut haben, sind definitiv Vergangenh­eit. Im Hilfsmitte­lkatalog sind an die 4000 Hörgeräte

aufgeführt. Fast ausschließ­lich in Mikrochip-Technik, die nahezu unsichtbar hinterm Ohr oder, kaffeebohn­engroß, im Ohr platziert wird. Nur in ganz seltenen Fällen muss man noch mit größeren Geräten ran, weil es anders nicht geht. Auch das leidige Rückkopplu­ngsproblem „pfeifen“ist übrigens zu 99 Prozent ausgemerzt. Bleibt noch die Frage der Kosten, vor der viele zurückschr­ecken.

Der normal gesetzlich Krankenver­sicherte erhält alle sechs Jahre etwa 1500 Euro für Hörhilfen. Dafür bekommt man maßangepas­ste Geräte. Nicht den allerhöchs­ten Standard natürlich, aber es fährt ja auch nicht jeder einen Porsche. Von Hörverstär­kern, die einige Discounter schon für 40 oder 50 Euro anbieten, rate ich dringend ab. Es gibt gute Hörgeräte für jedes Bedürfnis und für jeden Geldbeutel, auch für diejenigen, die nichts zuzahlen können oder wollen. Am Geld muss gutes Hören definitiv nicht scheitern.

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FOTO: ALEXANDER FISCHER Simone Lorenz-Halder
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FOTO: OTICON Moderne Hörgeräte mit MikrochipT­echnik können nahezu unsichtbar getargen werden.

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