Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Hausärzte mobilisieren alle Kräfte
Corona-Krise sorgt teilweise für Land unter in den Praxen – Schutzkleidung fehlt
RAVENSBURG (fh/ps/ric/len) - An der Belastungsgrenze arbeiten derzeit vor allem viele Hausärzte und ihre Mitarbeiter. Mediziner in Ravensburg müssen in der Corona-Krise einen Patientenansturm bewältigen, gleichzeitig den „normalen“Praxisalltag organisieren und wo immer möglich Sicherheit geben. Einige warten zudem dringend auf Schutzkleidung. Und sie sehen teils mit Sorge den nächsten Wochen entgegen.
Überlastet sind auch am Dienstag die Telefonleitungen in der Praxis von Tobias Preißhofen in der Ravensburger Seestraße gewesen. „Die Unsicherheit bei den Leuten ist groß und der Beratungsbedarf dementsprechend natürlich hoch“, sagt der promovierte Mediziner. Preißhofen hat sein Praxismanagement umorganisiert, der Alltag habe sich dadurch inzwischen ganz gut eingespielt: Von 8 bis 10 Uhr bestellt er die RoutinePatienten ein, zwischen 10 und 12 Uhr kommen Menschen mit mutmaßlichen Infektionen. Da die Praxis über zwei getrennte Eingänge verfügt, kann er das auch räumlich gut trennen. „Es ist uns wichtig, unseren Patienten auch ein Stück weit Sicherheit zu vermitteln. Wir können bei allen Problemen und Belastungen unsere Arbeit machen.“
Sicherheit zu geben, ist dem Hausarzt ganz allgemein in der Corona-Krise ein Anliegen. „Da waren natürlich die im Labor aufgelaufenen Proben alles andere als förderlich“, sagt Tobias Preißhofen. Er selbst hat schon mehrere Tage in der Teststation am EK gearbeitet, die Organisation im Landkreis Ravensburg hält er insgesamt für verbesserungsfähig. So sei es grundsätzlich schon eigentlich keine gute Idee, mögliche Infizierte in die Nähe eines Krankenhauses zu schicken. Und auch, dass wegen fehlender Kapazitäten eigentlich nur noch Leute getestet würden, die hohes Fieber haben, älter als 65 Jahre sind, Vorerkrankungen haben oder einen Risikokontakt hatten, entspreche nicht dem, was die Menschen wollten und bräuchten, nämlich ein möglichst hohes Maß an Verlässlichkeit.
Sorgen macht sich Preißhofen vor allem um alte Menschen. „Wer kümmert sich um diese Leute, wenn sie demnächst krank zu Hause liegen? Da kommen auf uns Hausärzte vermutlich noch harte Tage zu.“Etwas Positives aber hat er in seinem medizinischen Alltag auch wahrgenommen: „Viele hinterfragen derzeit die Luxusmedizin, die sie für selbstverständlich gehalten haben. Bagatellprobleme rücken in den Hintergrund, man erkennt besser, was wichtig ist.“
Der Ravensburger Hausarzt Germar Büngener lebt mit seiner Familie in der Weststadt und hat seit mehr als 25 Jahren eine Praxis in Friedrichshafen. „Ich arbeite seit einer Woche mit rund vier Stunden Schlaf pro Nacht und schlafe im Keller der Praxis“, sagt der promovierte Mediziner. Die Meldung, dass die Ärzte Schutzausrüstung bekommen, habe sich nicht bewahrheitet. Büngener hat darufhin selbst im Bodenseekreis innerhalb von 24 Stunden 9500 Masken für 71 250 Euro auf Kosten der einzelnen Ärzte akquiriert. Er und seine Helfer stünden derzeit auf Abruf bereit, um die Ware kurzfristig in Stuttgart abzuholen. „Nebenbei beantworte ich individuelle E-MailAnfragen, bis zu 300 pro Tag, und versende mehrmals täglich aktuelle Informationen an über 1000 Ärzte des Bodenseekreises“, sagt er. Abstriche seien aktuell nur möglich, wenn Corona-typische Symptome beim Betroffenen vorliegen und der Kontakt zu einer positiv getesteten Person nachgewiesen werden kann oder der Betroffene in einer Risikoregion gewesen ist. Auch Büngener sagt: „Das ist in einzelnen Situationen sehr unbefriedigend und belastet das Gewissen eines jeden Arztes enorm.“Vor dem Hintergrund, dass die italienischen Ärzte noch viel tiefgreifendere Probleme haben, könnten sich die hiesigen Ärzte aber derzeit noch sehr glücklich schätzen.
Die Ärzte Elisabeth und Jens Freundt mit Praxis in Oberhofen haben zwar Desinfektionsmittel und Handschuhe zur Verfügung, aber für jeden Mitarbeiter nur eine Partikel filternde, sogenannte FFP-Maske. Die Masken werden schon tagelang getragen. Sollte spätestens in zwei Wochen kein Nachschub kommen, wäre das eine Katastrophe, sagt die Ärztin. Ohne Schutzmaske könnten die Ärzte und ihr Team nicht beruhigt arbeiten, ergänzt sie. Ein Dilemma sieht sie auf sich zukommen, falls bei vielen Corona-Patienten gleichzeitig schwere Lungenentzündungen auftreten sollten. Als Ärztin könne sie nur eine begrenzte Zahl an Hausbesuchen machen, sonst müsse wichtige Behandlungszeit in der Praxis wegfallen, sagt Elisabeth Freundt. „Dann geht es um die Frage: Gehe ich zu einem Patienten nach Hause oder schaue ich mir zehn Leute in der Praxis an“, sagt sie. So einer Abwägung sei sie in ihrer Laufbahn noch nie ausgesetzt gewesen, obwohl auch die Grippesaison vor zwei Jahren außergewöhnlich stark gewesen sei. Um das Patientenaufkommen in der Praxis schon jetzt um durchschnittlich 30 Personen pro Tag zu verringern, beraten die beiden Ärzte alle Patienten mit leichten Atemwegserkrankungen, die sich nicht fit genug fühlen zum Arbeiten, aber keine Therapie brauchen, per Telefon und schicken ihnen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu. Die Kassenärztliche Vereinigung habe dieses Vorgehen in der Krise ausdrücklich erlaubt, erklärt Elisabeth Freundt.
Der Kinderarzt Frank Kirchner aus Vogt kann in seiner Praxis keinen Ansturm von besorgten Eltern feststellen. Das dürfte sicherlich auch daran liegen, dass Kinder nicht so schwer an Covid-19 erkranken wie ältere oder geschwächte Personen. „Wir Kinderärzte haben uns am Montag beraten und die Meinung war, dass sich die Eltern sehr vernünftig verhalten. Die Eltern rufen vorher an. Hier kommt niemand einfach so hustend oder niesend in die Praxis“, berichtet der Obmann der Kinderärzte in der Region BodenseeOberschwaben. Und dieser telefonische Kontakt ist in diesen Zeiten besonders wichtig. „Wenn jemand positiv getestet wurde und Kontakt zu einem Praxismitarbeiter hatte, müssen wir schließen“, erklärt Kirchner. Aufgrund der Corona-Pandemie habe auch er den Praxisalltag etwas anders organisiert. So finden morgens nur noch Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen statt. „Die üblichen Impfungen müssen ja weitergehen. Sonst haben wir irgendwann eine Masernund Keuchhustenwelle“, so Kirchner. Am Nachmittag sind dann die infektiösen Krankheiten an der Reihe. Diese Patienten werden in unterschiedliche Räume verteilt, damit nicht alle in einem Wartezimmer bleiben müssen. Schutzausrüstung habe er noch in begrenztem Maß aus Schweinegrippe-Zeiten.