Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nettigkeiten im Netz
Wie Ravensburger mit Musik, Meditationen und munterem Kochen auch in der Krise gute Energie verbreiten
RAVENSBURG (rut) - Die Corona-Krise zwingt viele Menschen, zu Hause zu bleiben. Andere hingegen müssen auch weiterhin raus und haben alle Hände voll zu tun. Sozialarbeiter Christian Mayer und Intensivkrankenpfleger Charly Schmidberger beispielsweise. Das hält die beiden aber nicht davon ab, positive Energie zu versprühen. Kostenlos. Übers Internet. Auch andere Ravensburger tun das über unterschiedliche virale Formate.
„Uns war’s langweilig, wir kochen und wir essen gern – und normalerweise machen wir das bei der Oma oder mit Freunden“, beschreibt Christian Mayer die Ausgangslage am vergangenen Wochenende. Da kam die Idee auf, gemeinsam mit den Kindern zu kochen. Und „weil mein Sohn Oskar und ich Publikum lieben“, wurde kurzerhand das I-Phone aufs Küchenfensterbrett gepackt und ein Livestream auf der sozialen Plattform Facebook gedreht. Darin erläutert Oskar (5), dass beim Curry-Kochen durchaus auch die Küche und obendrein das ganze Zuhause abbrennen könnten. Darin stochert Fritz (fast 2) munter mal in einer Orange, mal im Blumenkohl herum. Da begrüßt Papa Mayer locker und gut gelaunt Freunde, die sich live dazugesellen und das Geschehen kommentieren.
Oskar und sein Vater plappern, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist und schnippeln und köcheln quasi nebenher. „Mayer’s Kochstube“kommt sympathisch unprätentiös daher und ist gerade deshalb herzerfrischend amüsant. Nächsten Samstag, Punkt 10.30 Uhr, geht’s in die nächste Runde. Wahrscheinlich sind dann – nach Blumenkohl-Curry und Krautnudeln – Spaghetti mit Ketchup dran. Schließlich macht Oskar den Menüplan. Und vielleicht gesellen sich zu der „Adhoc-Geschichte“, wie Mayer es nennt, auch noch ein Podcast und eine eigene Webseite. Könnte gut sein, denn der Ravensburger bezeichnet sich als medienaffin und hat jeden Donnerstag eine Menge Spaß mit seinem Skype-Stammtisch. Vor allem aber geht es ihm mit dem spontan entstandenen Kochstudio darum, gute Energie zu verbreiten. „Das wollen wir Mayers grundsätzlich.“Denn: Auch wenn es mal mehr, mal weniger gelinge – „Wir sind auf dieser Welt, um Spaß zu haben und um Liebe zu spenden.“
So sieht es auch Sabine Müller. Die gelernte Damenschneiderin, die in ihrer Manufaktura Apollonia Fair-WearT-Shirts und Upcycling-Meditationskissen herstellt, lädt andere Menschen ein, „mit uns zu singen, um gemeinsam freudvolle Energie zu erzeugen, zu entschleunigen, zu entspannen und im Moment zu sein“. Gemeinsam mit Denise Friedrich hat Müller ein Handy-Filmchen mit Mantren in ihren YouTube-Kanal hochgeladen. Darin sitzen die beiden auf dem Sofa und intonieren etwa „Lokah Samastah Sukino Bhavantu“– was übersetzt bedeutet: Mögen alle Wesen Glück und Harmonie erfahren. Müller geht es mit der Aktion darum, Menschen zu inspirieren, in der Krise
„etwas Positives mit der vielen Zeit anzufangen“. Darum will sie mit viralen Beiträgen – etwa Bastelideen für Kinder oder einer Meditation – nachlegen. Andere, „die etwas machen, das dem Planeten guttut“, sind eingeladen, sich bei ihr zu melden – die 54Jährige würde diese Videos dann gerne in ihrem Kanal namens „Apollonia trägt Licht in die Welt“ausspielen.
Neulinge auf dem virtuellen Parkett sind Birgit und Charly Schmidberger. Die beiden Bad Waldseer laden normalerweise einmal im Monat zum Rhythmentanzabend in die Ravensburger Nordstadt. Auch wenn das in nächster Zeit nicht möglich sein wird, wollen sie den Leuten trotzdem „auf andere Weise etwas geben – sie dabei unterstützen, nicht in Angst und Panik zu verfallen, sondern den Fokus auf die positiven Seiten der Situation zu lenken“, wie Schmidberger erläutert. Weil er nicht nur Krankenpfleger, sondern auch Tanztherapeut ist und mit seiner Frau Persönlichkeitsbildungsseminare gibt, hat Schmidberger sich am vergangenen Wochenende durch die Technik gekämpft und drei Meditationen aufgesprochen. Diese Fantasiereisen, die dazu anleiten wollen, „die Angst nicht wegzudrücken oder wegzurationalisieren, sondern mit ihr umgehen zu lernen“, kann man alle auf der Website der beiden kostenlos anhören, runterladen und auch gern weiter teilen.
Andreas Reck, Betreiber von Riva – Bar & Essen in der Ravensburger Oberstadt, hat gerade ebenfalls keine analogen Gäste mehr. Sein Lokal ist seit vergangener Woche geschlossen. Trotzdem will er in Kontakt mit seinen Kunden bleiben und ihnen in Blogs oder Podcasts Tipps geben. Sei es dazu, wie man sich selbst einen Riva-Sprizz mixen kann. Oder dazu, wie man den perfekten Cappuccino aus der Kaffeemaschine zaubert. Dafür dürfe man die Milch nämlich nicht über 65 Grad erhitzen, verrät der Gastronom, sonst schmecke sie buttrig. Fürchtet er nicht, dass die Gäste sich dann womöglich auch irgendwann nach der Corona-Krise ihre Getränke selbst zu Hause zubereiten? Mitnichten. „Es kommt ja keiner zu uns, weil das Bier hier besser schmeckt – die Leute kommen wegen der Atmosphäre und damit sie nicht selber aufräumen müssen.“Nun könne man ihnen zeigen: „Wir mögen euch wirklich.“
Nichts aufzuräumen gab’s am vergangenen Samstag auch in der Weingartener Linse. Da hätte ursprünglich eine Funk-Party mit dem Berger DJ Caspa steigen sollen, der in Wirklichkeit
Uli Beller heißt und neben seinem Ingenieursjob quer durch die Republik als DJ unterwegs ist. Die Linse-Party fiel aus. Stattdessen legte der 37-Jährige spontan per Facebook-Livestream von zu Hause aus auf. „Um den Leuten und auch mir selber ein bisschen was Gutes zu tun“, wie er sagt. Viele hätten ihm rückgemeldet, dass sie dank dem Sound auf andere Gedanken gekommen sind oder mit seinem Mix auf den Ohren die Wohnung staubsaugten, sagt Beller. Weil’s so schön war, wird DJ Caspa bald wieder vom Berger Wohnzimmer aus Trip-Hop frei Haus liefern.
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