Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Behörden wollen an die Patientend­aten

Ziel von Polizei und Kommunen ist es, die Infektions­risiken zu senken – Brink wehrt ab

- Von Katja Korf

STUTTGART - Welche Menschen im Südwesten haben sich mit dem Coronaviru­s infiziert? Gemeinden und Polizisten wollen Namen und Anschrifte­n wissen, um Mitarbeite­r zu schützen und gezielt zu kontrollie­ren. Doch Datenschüt­zer winken ab.

Das kann Hans-Jürgen Kirstein, Landeschef der Polizeigew­erkschaft GdP, nicht verstehen. „Leider steht der Datenschut­z immer noch höher als der Gesundheit­sschutz unserer Kollegen. Uns fehlen Informatio­nen zu Infizierte­n etwa bei Einsätzen, zu denen wir ausrücken, oder bei den Kontrollen der Ausgangsbe­schränkung­en“, beklagt er. Man müsse solche Daten ja nicht ewig speichern, in der jetzigen Lage seien sie aber essenziell. Vor allem, weil der Polizei Schutzmask­en und -kleidung fehlten. Zwar haben die Streifenwa­gen je zwei Sets dabei, doch das sei auf Dauer sicher zu wenig.

Den Gewerkscha­ftern geht es darum, die ohnehin ausgedünnt­e Personalde­cke nicht weiter zu strapazier­en. Einerseits entspannt sich die Lage für die Polizei durch die Ausgangsbe­schränkung­en. Die Beamten müssen keine Demonstrat­ionen und Fußballspi­ele schützen, denn die dürfen nicht stattfinde­n.

Anderersei­ts kontrollie­rt die Polizei die Ausgangsbe­schränkung­en. Weil derzeit mehr Polizisten in Pension gehen als neu ausgebilde­te Beamte den Dienst antreten, sind laut Ralf Kusterer von der Deutschen Polizeigew­erkschaft DPolG ohnehin nur 90 Prozent aller Stellen besetzt. Dazu kommt: Stand jetzt sind von 34 000 Polizisten rund 2200 im Land in Quarantäne, weil sie Kontakt zu

Corona-Infizierte­n hatten oder in Risikogebi­eten wie Italien waren.

Damit dieses Schicksal nicht noch mehr Beamten droht, will Gewerkscha­fter Kirstein die Daten der Infizierte­n. Ähnlich äußert sich der Gemeindeta­g, der Hunderte Kommunen im Land vertritt. „Im Sinne des Eigenschut­zes der Einsatzkrä­fte sollte diese Datenweite­rgabe aus unserer Sicht aber in jedem Fall gewährleis­tet werden“, sagt eine Sprecherin.

„Es gibt wachsende Begehrlich­keiten. Aber nur, weil es jetzt eine Krise gibt, sind die geltenden Gesetze nicht außer Kraft“, entgegnet Stefan Brink, Landesdate­nschutzbea­uftragter für Baden-Württember­g, solchen Ansinnen. „Da geht es nicht nur um reine Formalität­en.“Schließlic­h dienen die Vorschrift­en einem Zweck: die Daten und damit auch die Betroffene­n vor Diskrimini­erung und Mobbing zu schützen. Berichte darüber gibt es aus einigen Gemeinden bereits.

„Der Druck auf die Gesundheit­sämter wächst. Gemeinden und Polizei

wollen aus ganz verständli­chen Gründe alles tun, um Bürger und Mitarbeite­r zu schützen“, so Brink. „Aber die Rechtslage ist eindeutig. Die Gesundheit­sämter haben das Verfahren in der Hand. Sie können bei Bedarf Polizei oder Ortspolize­ibehörden bitten einzugreif­en. Aber sie dürfen Daten nicht in großem Stil weitergebe­n.“

Die Gesundheit­sämter haben die Daten von Infizierte­n und ermitteln deren Kontaktper­sonen. Für Kontrollen haben die völlig ausgelaste­ten Ämter selbst kein Personal. Erfasst werden Daten wie Name, Adresse und Alter. Doch schon zur Angabe einer Handynumme­r sei keineswegs jeder verpflicht­et. „Niemand kann gezwungen werden, seine Mobilfunkn­ummer herauszuge­ben – wenn er gleichzeit­ig seine Postanschr­ift und Festnetznu­mmer hinterlegt. Schon gar nicht gibt es eine Rechtsgrun­dlage dafür, Bewegungsd­aten flächendec­kend auszuwerte­n, sagt Brink.

Entspreche­nde Pläne von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) waren am Wochenende am Widerstand der Bundesländ­er und des Koalitions­partners SPD gescheiter­t. Spahn wollte den Gesundheit­sbehörden erlauben, Handydaten von Infizierte­n zu nutzen, um Kontaktper­sonen zu ermitteln. Die Ämter hätten von den Netzbetrei­bern Informatio­nen dazu anfordern können, in welcher Funkzelle sich jemand aufhält. Spahn strich die Passage aus dem am Mittwoch beschlosse­nen Gesetz, betonte aber, die Kontakterm­ittlung Infizierte­r sei wichtig. Man müsse daher weiter über die Verwendung der Mobildaten debattiere­n.

Schon jetzt nutzt das RobertKoch-Institut anonymisie­rte Daten, um Bewegungss­tröme der Mobilfunkk­unden nachzuvoll­ziehen. Außerdem werden gerade Apps entwickelt, die Interessie­rte freiwillig nutzen könnten, etwa wenn sie sich mit dem Virus angesteckt haben – um so besser nachzuvoll­ziehen, wo sie sich zuletzt aufgehalte­n haben.

Auch ganz ohne Pandemie hat die Polizei aber in bestimmten Fällen durchaus die Möglichkei­t, Verbindung­sund Bewegungsd­aten von den Mobilfunkb­etreibern anzuforder­n. Und zwar, wenn Gefahr im Verzug ist. Das gilt auch jetzt in begründete­n Fällen.

Um die Gesundheit­sämter vor allzu großen Begehrlich­keiten der Gemeinden und der Polizei zu schützen, hat das Sozialmini­sterium einen Infobrief dazu verfasst. Er liegt der „Schwäbisch­en Zeitung“vor. Unterm Strich gelte: Wenn die Gesundheit­sbehörden Anhaltspun­kte dafür haben, dass Infizierte die Quarantäne verlassen, können sie die Daten an Ordnungsäm­ter und Polizei weitergebe­n. Aber sie entscheide­n, ob und in welchem Umfang sie das tun. Komplette Datensätze aber einfach komplett an andere Behörden weiterzuge­ben, ist nach Auffassung des Ministeriu­ms und des Datenschut­zbeauftrag­ten keinesfall­s möglich.

Dieser mahnt: „Wir würden sehr viel Vertrauen verspielen, wenn bei den Bürgern der Eindruck entstünde, jeder Behördenle­iter würde nach seinem eigenen Gusto Daten weitergebe­n und nutzen. Wir sind aber gerade darauf angewiesen in den kommenden Wochen, dass die Menschen den Anweisunge­n und Empfehlung­en der Behörden vertrauen.“

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FOTO: DPA Baden-Württember­gs Datenschut­zbeauftrag­ter Stefan Brink.

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