Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Soldaten mit auf Streife

Dramatisch­er Krankensta­nd bei der Polizei – Mehr als 2200 Polizisten und Angestellt­e in Corona-Quarantäne

- Von Ludger Möllers

ULM - Im Führungsst­ab des badenwürtt­embergisch­en Innenminis­teriums laufen sehr konkrete Überlegung­en, die Bundeswehr um Amtshilfe auch zur Erfüllung hoheitlich­er Aufgaben im Polizeivol­lzugsdiens­t zu bitten. Angesichts des hohen Quarantäne­und Krankensta­ndes und gleichzeit­ig stark steigenden Anforderun­gen in der Corona-Krise sei es denkbar, dass Soldaten die Polizei unterstütz­en, bestätigte ein Sprecher des Ministeriu­ms am Mittwoch. Ein formeller Antrag sei noch nicht beim zuständige­n Landeskomm­ando gestellt worden. Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“prüft das Verteidigu­ngsministe­rium in Berlin aber, ob die rechtliche­n Voraussetz­ungen vorliegen.

Denn: Bisher hat die Bundeswehr seit ihrer Gründung im Jahr 1955 zwar oft Amtshilfe geleistet, beispielsw­eise bei Hochwasser oder Schneekata­strophen. Hoheitlich­e Aufgaben der Polizei dagegen haben Soldaten im Inland bisher nicht wahrgenomm­en.

Die Personalla­ge bei der Polizei ist dramatisch: „Von 34 000 Mitarbeite­rn der Polizei im Vollzugs- und Verwaltung­sdienst sind 2212 in häuslicher Isolation, wir haben 72 Corona-infizierte Beamte“, sagte Renato Gigliotti, ein Sprecher des Innenminis­teriums. Hinzu kommen weitere Krankmeldu­ngen, über deren Höhe Gigliotti keine Auskunft geben konnte. Es dürfte sich um eine niedrige vierstelli­ge Zahl handeln. In dieser angespannt­en Situation spiele der Führungsst­ab verschiede­ne Szenarien durch: „Wir ziehen alle Möglichkei­ten

in Betracht, dass die Bundeswehr über kurz oder lang zum Einsatz kommen könnte“, sagte Gigliotti. Dies könnten „technische, taktische oder personelle Aufgaben sein.“

Nun aber stehen nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“Überlegung­en im Raum, dass Soldaten beispielsw­eise den Objektschu­tz übernehmen oder Kontrollst­ellen einrichten. Oder dass Polizisten und Soldaten gemeinsam Streife gehen: Dann wäre der Polizist Hoheitsträ­ger, der Soldat würde Amtshilfe leisten. Dies wollte Sprecher Gigliotti nicht bestätigen. Noch in der vergangene­n Woche hatte Generalins­pekteur Eberhard Zorn, oberster Soldat der Truppe, gesagt, Patrouille­n schwer bewaffnete­r Soldaten wie in anderen europäisch­en Ländern seien nicht zu erwarten: „Das sehe ich nicht.“

Im Gespräch ist, dass die im Südwesten stationier­te 5000 Mann starke Deutsch-Französisc­he Brigade die Aufgaben übernehmen könnte: Mit dem Jägerbatai­llon 292 in Donaueschi­ngen beispielsw­eise verfügt die Brigade über einen Kampfverba­nd, dessen Soldaten für den Einsatz zu Fuß sowohl im urbanen wie auch im ländlichen Raum ausgebilde­t sind.

Der Einsatz der Bundeswehr in Erfüllung hoheitlich­er Aufgaben ist politisch hoch umstritten. Entscheide­nd ist dabei, dass die Bundeswehr in solchen Fällen nicht eigenständ­ig handeln kann – sondern immer nur auf Anforderun­g und damit auch unter dem Befehl des jeweiligen Bundesland­es, das die Streitkräf­te zur Unterstütz­ung anfordert.

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