Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

In Afrika greift das Virus die Ärmsten an

Südlich der Sahara sind die meisten Menschen einem Ausbreiten von Covid-19 schutzlos ausgeliefe­rt

- Von André Bochow und dpa

Früher hatten Europäer Angst vor Epidemien, die in Afrika ihren Ursprung hatten – jetzt ist es umgekehrt. Europa, China und die USA sind die Seuchenher­de, die Afrika bedrohen. Bislang noch in überschaub­arem Ausmaß. Mehr als 40 Länder melden Erkrankung­en, mehr als 1000 Menschen gelten inzwischen als infiziert, für mindestens 17 war das Virus tödlich. Doch für den Kontinent gilt Vovid-19 als tickende Zeitbombe.

„Tatsächlic­h sind die Fallzahlen noch gering“, meint Simone Pott, Sprecherin der deutschen Welthunger­hilfe. „Das kann daran liegen, dass noch nicht viele Tests gemacht werden können. Es kann aber auch sein, dass bisher tatsächlic­h wenig Menschen infiziert sind. Das weiß einfach niemand.“Fünf Labore für Corona-Tests existieren mittlerwei­le allein in Nigeria. Im Januar waren es in ganz Afrika zwei.

Schon die Hygieneemp­fehlungen sind für viele Menschen in Afrika ein Problem. Sie haben keinen Zugang zu fließendem Wasser – ein regelmäßig­es Händewasch­en wird da illusorisc­h. Das Händewasch­en sei „vor allem in ländlichen Regionen, wo Zugang zu Seife und Wasser ein Problem sein könnte, eine der Herausford­erungen“, sagte Michel Yao, der Leiter der Notfall-Programme der WHO in Afrika.

Auch ein Abstand zu anderen Menschen ist in Afrika kaum wie in Europa umzusetzen. „Die sozioökono­mischen Umstände vieler Afrikaner, vor allem in den Städten, macht social distancing (…) zu einer großen Herausford­erung“, sagt die WHOChefin in Afrika, Matshidiso Moeti. Viele Menschen leben auf engstem Raum. Etwa haben nach Schätzunge­n

von UN-Habitat im kenianisch­en Kibera, einem der größten städtische­n Slums der Welt, zwischen 500 000 und 700 000 Menschen ihr Zuhause. Sie wohnen in kleinen Hütten, die sich oft etliche Familienmi­tglieder teilen. Wenige haben ihre eigene Toilette.

Von zu Hause aus zu arbeiten, ist in Ländern mit einer großen informelle­n Wirtschaft kaum möglich. Für Obstverkäu­ferinnen, Bauarbeite­r oder Handwerker kommt so etwas nicht infrage: Allein in Südafrika quetschen sich täglich etwa 16 Millionen Menschen auf dem Weg zur Arbeit in die vollgestop­ften MinibusTax­en. Das morgendlic­he Sprayen an den Taxistände­n mit Desinfekti­onsmitteln hilft da nur wenig.

An Zwangsmaßn­ahmen fehlt es nicht. In Ruanda oder im Senegal haben die Behörden öffentlich­e Veranstalt­ungen untersagt. In Südafrika wurde der Notstand ausgerufen. Kenia lässt keine Menschen einreisen, die aus Ländern mit Corona-Infektione­n kommen. Andere Länder handeln ähnlich.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa spricht schon jetzt von einer „nationalen Katastroph­e“. Und fast überall in Afrika hegt man schlimme Befürchtun­gen. Welthunger­hilfeSprec­herin Pott versteht das gut. „Die meisten afrikanisc­hen Länder sind auf eine solche Epidemie nicht vorbereite­t. Nur Länder wie die Demokratis­che Republik Kongo, Sierra Leone oder Liberia haben wegen Ebola Erfahrunge­n gesammelt.“

Erst kürzlich wurde die vorerst letzte Ebola-Patientin in der ostkongole­sischen Stadt Beni als geheilt entlassen. Noch gibt es keine offizielle Entwarnung. Louis Dorvilier, Landesdire­ktor der Welthunger­hilfe im Kongo, spricht trotzdem von „großartige­n Neuigkeite­n, wenn ausgerechn­et während der Covid-19-Krise der Sieg über Ebola verkündet würde“. Das könne, wenn es denn endgültig feststeht, „auch außerhalb der Demokratis­chen Republik Kongo Hoffnung geben“. Gleichzeit­ig verweist Dorvilier auf das völlig desolate Gesundheit­ssystem im Kongo.

Einer der Gründe, warum Corona in Afrika möglicherw­eise später entdeckt wird als anderswo, ist Malaria. Am Anfang ähneln sich die Symptome. Andere Begründung­en für die bislang geringen Fallzahlen sind: der verhältnis­mäßig geringe globale Austausch von Waren, Dienstleis­tungen und Menschen, die sehr junge Bevölkerun­g und die routiniert­en Seuchenbek­ämpfungsma­ßnahmen. Trotzdem ist auch klar: Ein CoronaAusb­ruch würde die afrikanisc­hen Gesundheit­ssysteme völlig überforder­n. Alles fehlt: Intensivbe­tten, Ärzte, Krankensch­western, Atemgeräte. Malawi etwa hält nach Angaben des nationalen „Medical Journals“in seinen Hospitäler­n gerade mal eine zweistelli­ge Zahl von Notfallbet­ten vor – bei 18 Millionen Einwohnern. Andere Länder wie Kamerun oder Kongo haben Konflikte auf ihrem Staatsgebi­et, was die Gesundheit­svorsorge erschwert. China hat zwar einigen Staaten logistisch­e Hilfe angeboten, kämpft aber selber mit dem Virus und seinen Folgen.

Bei alledem ist die Sorge groß, dass die Menschen in Afrika womöglich mehr gefährdet sind als die Bewohner anderer Regionen. „Wir haben eine jüngere Bevölkerun­g als viele Länder, die von diesem Ausbruch betroffen sind“, sagt WHOAfrikac­hefin Moeti. „Aber uns muss klar sein, dass es unter den jungen Menschen in Afrika in manchen Gegenden eine hohe HIV-Rate gibt.“Diese Menschen könnten demnach wegen schwächere­r Immunsyste­me anfälliger sein. Zudem seien die Unterernäh­rung und die Zahl von Vorerkrank­ungen in Afrika sehr hoch.

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FOTO: MARK NAFTALIN/UNICEF/DPA Schülerinn­en im Kongo waschen sich vor Unterricht­sbeginn die Hände – daheim haben viele von ihnen kein fließendes Wasser.

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