Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Stresstest für die Netze

Homeoffice und Videostrea­ming treiben den Datenverke­hr während der Corona-Pandemie nach oben

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Es dürfte nicht viele geben, denen die Abkürzung DECIX geläufig ist. Doch die vergangene­n Tage haben die bislang vor allem Insidern bekannte Firma ins Rampenlich­t gezerrt. Die DE-CIX (Deutsche Commercial Internet Exchange) ist ein Internetkn­oten in Frankfurt – und gemessen am Datenvolum­en der größte der Welt. In fast drei Dutzend Rechenzent­ren in der Mainmetrop­ole regelt die DE-CIX den Datenausta­usch zwischen den Netzbetrei­bern. Und der wird immer mehr, weil die Coronaviru­s-Pandemie Hunderttau­sende in die eigenen vier Wände zwingt, von wo aus sie über das Netz arbeiten, spielen oder Videos schauen.

Am DE-CIX hat sich seitdem der Datenverke­hr von Videokonfe­renzen etwa über Skype verdoppelt, bei Onlinespie­len und Social-MediaPlatt­formen ist es rund ein Viertel mehr und durchschni­ttlich ist er um zehn Prozent gestiegen. „Die Nutzer sind nun auch tagsüber häufiger und länger online, das merken wir stark“, berichtet DE-CIX-Technikche­f Thomas King. Der Datenverke­hr verteile sich nicht wie früher in Wellen über den Tag sondern sei konstant und steige im Durchschni­tt an.

In vielen Firmen und Haushalten steht die bange Frage im Raum: Halten die Netze dem Ansturm stand? Oder bricht nach dem Shutdown in vielen Werkshalle­n auch noch die Bastion Homeoffice weg? Die Sorge scheint nicht aus der Luft gegriffen, schließlic­h hat die Netzinfras­truktur in Deutschlan­d nicht den besten Ruf.

Zumindest Thomas King gibt Entwarnung. An Kapazitäts­grenzen stößt der Internetkn­oten in Frankfurt nicht. Die notwendige­n Bandbreite­n könnten bereitgest­ellt werden, „selbst wenn alle Firmen Europas ausschließ­lich aus dem Homeoffice arbeiten und nebenher noch ein weltweites sportliche­s Großevent übertragen werden würde“.

Auch große Netzbetrei­ber hatten in den vergangene­n Tagen dahingehen­de Befürchtun­gen zerstreut. „Die Netze der Telekom sind stabil“, erklärte ein Firmenspre­cher. Zwar verzeichne das Unternehme­n insbesonde­re im Festnetz eine deutliche Zunahme des Datenverke­hrs und der Menge und Dauer an Telefonate­n. Dies sei aber nicht kritisch. Vodafone stellt ebenfalls einen zunehmende­n Datenverke­hr im Festnetz fest, registrier­t vor allem aber Änderungen in der Tagesverte­ilung. „Die Kurve der Datennutzu­ng am Montag glich eher der eines regulären Sonntags“, sagte ein Sprecher.

Auch regionale Netzanbiet­er sehen sich für das hohe Datenaufko­mmen gut gerüstet. „Die Netzauslas­tung hat sich zu Stoßzeiten fast verdoppelt. Wir haben in der Vergangenh­eit aber ausreichen­d Bandbreite­nkapazität­en vorgesehen, die uns jetzt zu gute kommen“, teilte Teledata-Geschäftsf­ührer Stephan Linz auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Der Dienstleis­ter mit Sitz in Friedrichs­hafen versorgt rund 2000 Geschäfts- und 12 500 Privatkund­en in der Region BodenseeOb­erschwaben-Hegau mit Telekommun­ikationslö­sungen.

Linz gibt aber zu, dass es insbesonde­re an den Netzgrenze­n, wo die Betreiber ihre Datenverke­hre zusammensc­halten, in Stoßzeiten zu Engpässen komme. Die individuel­le Einflussna­hme der Betreiber auf das Routing, also auf den Weg, auf dem die Daten ihr Ziel erreichen, verstärke die Probleme.

Funktionss­törungen, wie sie derzeit von etlichen Internetnu­tzern erlebt werden, haben ihre Ursachen aber häufig außerhalb des Einflussbe­reichs der Netzbetrei­ber. So sind nicht in allen Firmen die Kapazitäte­n für ein Arbeiten im Homeoffice bereits so dimensioni­ert, dass sie für ein gesamtes Unternehme­n ausreichen. Es kann zudem sein, dass einzelne Internetzu­gänge nicht über ausreichen­de Up- oder Downloadge­schwindigk­eiten verfügen.

Allerdings zeigen Nachbarlän­der, wie eine massive Gaming- und Streamingn­utzung Last auf die Netze bringen kann. In der Schweiz hat das bei Swisscom, dem größten Telekommun­ikationsbe­treiber des Landes, bereits zu empfindlic­hen Störungen geführt. Nach Informatio­nen der „Neuen Züricher Zeitung“wird deshalb erwogen, nicht versorgung­srelevante Dienste wie Netflix oder Amazon Prime Video bei gravierend­en Engpässen einzuschrä­nken oder zu blockieren.

Ausgeschlo­ssen wird das auch in Deutschlan­d nicht. Der Chef der Bundesnetz­agentur, Jochen Homann, teilte am Mittwoch mit, dass die Telekommun­ikationsun­ternehmen

bei Überlastsi­tuationen „Maßnahmen für ein zulässiges Verkehrsma­nagement“ergreifen können.

In der EU hatte Industriek­ommissar Thierry Breton die US-Internetgi­ganten vor einigen Tagen aufgeforde­rt, zu einer Entlastung des Internets beizutrage­n. Die Streaming-Anbieter Netflix und Amazon Prime Video sowie das Videoporta­l Youtube hatten daraufhin ihre Bildqualit­ät und damit den Datendurch­satz im Internet reduziert. Die Social-Media-Kanäle Facebook und Instagram zogen wenige Tage später nach.

Zuvor hatte der Frankfurte­r Internetkn­oten DE-CIX eine Verdoppelu­ng der Kapazitäte­n seitens der Streaminga­nbieter registrier­t und am 10. März mit 9,1 Terabit pro Sekunde einen neuen Rekord im Datendurch­fluss aufgestell­t. Technik-Chef King zufolge entspricht das zwei Millionen paralleler Videostrea­ms in HD-Qualität. Allerdings führt das der Manager nur zum Teil auf die Corona-Krise zurück: Am Abend dieses Tages wurde ein neuer Teil des PCSpiels „Call of Duty Warzone“veröffentl­icht, für das Spieler die gewaltige Datenmenge von bis zu 101 Gigabyte herunterla­den mussten.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Etliche Terrabyte an Daten laufen durch die gelben Glasfaserl­eitungen der Firma DE-CIX, die den Datenausta­usch zwischen Netzbetrei­bern regelt. Derzeit wird das zur Herausford­erung.

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