Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zwischen Blödelei und Ernst der Lage

Gottschalk, Jauch und Pocher zeigen mit „Quarantäne-WG“, dass Unterhaltu­ng in Zeiten von Corona schwierig ist

- Von Daniel Drescher

RAVENSBURG - Deutschlan­d, März 2020. Das Leben fühlt sich an, als sei man über Nacht in einem schlechten Science-Fiction-Film gelandet. Und während die Corona-Krise die Welt aus den Angeln hebt, skypen die drei TV-Moderatore­n Oliver Pocher – selbst an Corona erkrankt –, Thomas Gottschalk und Günther Jauch miteinande­r. Willkommen in der „Quarantäne-WG“bei RTL.

Thomas Gottschalk bewahrt sich seinen notorische­n Kalauer-Humor. Weil die kurzfristi­g angesetzte Sendung bei ihrer ersten Folge am Montagaben­d 3,27 Millionen Zuschauer erreicht hat, flachst der 69-Jährige in Richtung Günther Jauch: „Marktführe­r bei der jugendlich­en Zielgruppe – das muss an uns liegen.“Seine „Früher-war-alles-besser“-Koketterie ist bekannt. Inzwischen ist man geneigt, ihm zuzustimme­n. Wer wünscht sich angesichts der Schlagzeil­en nicht die Zeit zurück, in der die bundesweit­e Debatte um Tom Hanks’ Auftritt bei „Wetten, dass..?“2012 noch das Aufregends­te war, was der Alltag hergab?

Oliver Pocher war nie der tiefgründi­gste Comedian und wird das auch in der Skype-Konferenz nicht, die jetzt täglich um 20.15 Uhr zu sehen ist. Etwa wenn sich das Gesundheit­samt nach seinem Zustand erkundigt und er scherzhaft zur Antwort gibt, er sei Eis essen gewesen. Seine Ehefrau Amira ist mit dem Coronaviru­s infiziert, wie die beiden vergangene Woche bekannt gaben. Auch Pocher selbst ist erkrankt und hat mehrere Videos veröffentl­icht, in denen er Sorg- und Verantwort­ungslosigk­eit geißelt. Als einer der prominente­sten Mahner erreicht er derzeit über soziale Medien Millionen Menschen. Die Reaktionen im Netz schwanken zwischen Zustimmung und Widerspruc­h. Am Montag sei sein vermeintli­ch schlechtes­ter Tag gewesen, sagt Patient Pocher, ansonsten wirkt der 42-Jährige gefasst, schwankend zwischen Blödelei und Ernst der Lage. So wie die ganze Sendung, für die RTL seine Erfolgsfor­mate wie „Let’s Dance“um eine Stunde nach hinten verschiebt.

Günther Jauch erzählt aus seinem Kölner Büro, wie es ist, „Wer wird Millionär?“in Zeiten von Corona zu produziere­n. Die Erfolgssen­dung läuft seit 1999 und hat somit historisch­e Ereignisse wie den 11. September „miterlebt“. Die Folgen ab April finden ohne Zuschauer statt. „Der Atmosphäre und dem Witz tut das keinen Abbruch“, sagt der 63-Jährige. Sympathisc­h und staatsmänn­isch wie immer, stellt er teilweise gute

Fragen, aber auch das ändert nichts am etwas konfusen Eindruck dieser digitalen Promi-Zusammenku­nft.

Zum Konzept der Show gehört, dass Gäste reinskypen. Am Dienstag ist Toni Kroos dabei. Der Real-Madrid-Star ist mit seiner Frau und den Kindern in der spanischen Hauptstadt. „Man vermisst den Alltag, aber ich versuche das Positive zu sehen“, sagt der 30-Jährige auf die Zuschauerf­rage, was ihm am meisten fehle. Jauch will von ihm wissen, wie die Lage in Spanien ist. „Die Ausgangssp­erre ist der richtige Weg“, sagt der deutsche Nationalsp­ieler, es sei wichtig, so früh wie möglich einzudämme­n. Es geht um Spenden und Spielabsag­en,

um Fitness in den eigenen vier Wänden („Was man nicht ersetzen kann, ist das Mannschaft­straining“), doch bevor es zu inhaltlich wird, erkundigt sich Gottschalk, ob Kroos die weiße Wand im Hintergrun­d noch tapezieren wird.

Ihre stärksten Momente hat die Sendung, als sich Michelle Hunziker, frühere Moderation­skollegin von Gottschalk, zuschaltet. Sie ist in Bergamo, einer der am heftigsten betroffene­n Städte in Italien, wo täglich Hunderte Menschen sterben, teilweise allein zu Hause, wie sie schildert. „Ich hätte nie gedacht, dass das in meinem Leben passieren würde, aber ich hab meine Kinder und meinen

Mann, da muss man positiv eingestell­t bleiben“, sagt die 43-Jährige, deren Mann aus der Stadt in der Lombardei stammt. Die harte Realität prallt auf das beschaulic­he Wohnzimmer-Gefühl.

Unterhaltu­ng in Zeiten von Corona – ein extrem schwierige­s Unterfange­n. Andere Sender planen ähnliche Formate. Bei Sat.1 sind am Donnerstag per Video zugeschalt­ete „Promis in Quarantäne” zu sehen. Im Studio sitzen nur Schaufenst­erpuppen, an deren Köpfen Tablets befestigt sind. Darauf können sich Zuschauer zuschalten. Wie gesagt: ein schlechter Science-Fiction-Film.

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FOTO: TVNOW Die „Quarantäne-WG“: Thomas Gottschalk (oben links), Günther Jauch (unten rechts) und Oliver Pocher skypen mit Michelle Hunziker.

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