Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mehr Tote als in China
In Spanien wächst die Kritik am Umgang mit dem Virus
MADRID - Mehrere Transporter fahren in die Tiefgarage des Eissportpalastes Madrid. In der Kabine der roten Fahrzeuge sieht man Männer in weißen Schutzanzügen. Es sind Soldaten der spanischen Katastrophenschutzeinheit UME. Sie bringen Plastiksäcke und Särge mit Epidemie-Opfern.
Wegen Überfüllung der Depots in den Krankenhäusern wurde der Sportpalast mit seiner OlympiaEispiste zum Zwischenlager umfunktioniert – die größte Leichenhalle der Nation. Offiziell trägt das Eislaufund Einkaufszentrum im Nordosten Madrids den Namen „Dreams“, Träume. Nun wird dieser Traumpalast zum Symbol von Spaniens schlimmstem Alptraum, der noch lange nicht beendet ist: Die Virus-Epidemie ist weiter außer Kontrolle und kostet immer mehr Menschenleben. Deswegen beschloss Spaniens Parlament am Mittwoch, den nationalen Ausnahmezustand samt Ausgangssperre bis zum 11. April zu verlängern.
Jeden Tag sterben derzeit allein im Großraum Madrid annähernd 300 Menschen im Zusammenhang mit dem Virus Sars-CoV-2. Die Hauptstadtregion, in der knapp sieben Millionen Menschen leben, ist Spaniens gefährlichste Risikozone. Mehr als die Hälfte aller Toten in Spanien, bei denen das Coronavirus nachgewiesen wird, werden in Madrid registriert. Bis zum Mittwoch meldeten die Behörden allein in der Region Madrid 14 600 Infizierte. 1825 Menschen starben bisher – zwei Drittel der Opfer waren älter als 80. Die statistische Sterblichkeitsquote in Madrid lässt vielen Bewohnern das Blut in den Adern gefrieren: Sie liegt, wenigstens auf den ersten Blick, mit über zehn Prozent noch deutlich höher als in der italienischen Lombardei
oder der chinesischen Provinz Hubei. Aber die Statistik hinkt: Denn Spaniens Corona-Statistik zählt nur die schweren Infektionsfälle. Für ganz Spanien wurden am Mittwoch insgesamt 47 610 Infektionsfälle gemeldet – rund 8000 mehr als am Vortag. Die Zahl der Toten stieg spanienweit auf 3434 – ein Anstieg um mehr als 730 Todesfälle in 24 Stunden. Damit meldet Spanien bereits mehr Tote als in China in den letzten Wochen registtriert wurden – wobei auch hier gilt, dass die Statistiken nicht durchweg vergleichbar sind und von der Zahl der durchgeführten Tests abhängen.
Derweil mehrt sich die Kritik an den Behörden. Ihnen wird vorgeworfen, den Pflege- und Gesundheitssektor nicht ausreichend auf die Epidemie vorbereitet zu haben. Krankenhäuser und Altenheime klagen seit Wochen, dass es an Schutzausrüstung und Testkits mangele. Ärzte und Angehörige des Pflegepersonals berichten, dass sie sich Schutzkittel aus Mülltüten oder Regenjacken und Gesichtsmasken aus Plastikfolien sowie Stoffresten basteln müssen. Ein Mangel mit dramatischen Konsequenzen: Immer mehr Mediziner und Pfleger infizieren sich. Nach den neusten Zahlen gehören mittlerweile 14 Prozent aller Erkrankten der Gesundheitsbranche an.