Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eine Straße, die viel Leid bringt
Zwei Feuerwehrmänner erzählen, wie sie die schweren B-30-Unfälle seelisch verarbeiten
BIBERACH/RAVENSBURG - Den Feuerwehren entlang der B 30 verlangen die schweren und tödlichen Unfälle viel ab, vor allem in psychischer Hinsicht. Seit dem vierspurigen Ausbau des Teilstücks bei Laupheim in den 1990er-Jahren fährt es sich sicherer auf der B 30. Doch weiter südlich ab Biberach ist die Verbindung nur zweibeziehungsweise dreispurig ausgebaut. Eine Mittelleitplanke existiert nicht, weshalb es immer wieder zu heftigen Kollisionen kommt.
Der Piepser des Vaters löst Alarm aus, doch der ehrenamtliche Feuerwehrmann ist da schon bei der Arbeit, und so erlebt sein Sohn, Christian Wieland, seinen ersten B-30-Einsatz. Er macht sich morgens um 4 Uhr bereit, um zu einem Unfall nahe Oberessendorf auszurücken. Mit den Biberacher Kameraden am Unglücksort angekommen, bietet sich ihm ein desaströses Bild. Ein Mercedes ist in zwei Teile gebrochen. Ein Kindersitz liegt herum. Das war Mitte der 1990er-Jahre und der erste B-30-Unfall, der Christian Wieland geprägt hat.
Der heute 43-Jährige und sein Kamerad Sven Layer (41) sind seit 25 beziehungsweise 23 Jahren im aktiven Einsatzdienst der Biberacher Feuerwehr. In dieser Zeit haben sie viele Einsätze entlang der B 30 zwischen Laupheim und Oberessendorf hinter sich gebracht, die sehr belastend sein können. Besonders im Abschnitt südlich des Jordan-Eis, dort wo die Bundesstraße ein- beziehungsweise dreispurig wird, kracht es immer wieder schwer. Auch, weil Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit in den Gegenverkehr geraten. Den Bereich bei Appendorf nennen viele Biberacher inzwischen den „Todeskilometer“. „Diese Bezeichnung gibt es bei uns intern nicht“, sagt Abteilungskommandant Sven Layer. „Trotzdem fahren wir mit einem mulmigen Gefühl zu diesen Einsätzen.“Zu viele Menschen seien dort schon gestorben.
Zusammen mit dem Rettungsdienst sind die Feuerwehrmänner die ersten Helfer vor Ort. „Wir wägen zuerst ab, wen wir als Erstes aus den
Fahrzeugen holen“, erläutert Christian Wieland. Denn oftmals sind mehrere Verletzte in ihren Wagen eingeklemmt, weshalb die Kameraden mit schwerem hydraulischem Rettungsgerät ranmüssen. „Es hat sich viel in der Autotechnik getan. Die Menschen sind besser in den Kabinen geschützt, andererseits wird es für uns aufwendiger, sie herauszubekommen“, schildert Christian Wieland. Gleichzeitig müssen die Retter die Unfallstelle so absichern, dass ihnen selbst nichts passiert, und Gaffer abwehren: „Schaulustige behindern unsere Arbeit immer wieder.“Autos beziehungsweise Lastwagen prallen mit großer Heftigkeit aufeinander, es wirken ungeheure Kräfte – auch auf den menschlichen Körper. Auch ohne ins Detail zu gehen, dürfte jedem klar sein, dass sich den Feuerwehrmännern schreckliche Bilder bieten können.
„Wer das nicht sehen kann, der muss auch nicht zwingend einen Toten aus dem Auto bergen“, erläutert der Abteilungskommandant. „Jeder ist nicht jeden Tag gleich drauf.“Wichtig sei, nach dem Einsatz darüber zu sprechen. Das tun die Kameraden
untereinander oder mit ihrer intern geschulten Fachberaterin für „Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte“. „Meistens kommen die Bilder in ruhigen Stunden“, sagt Christian Wieland. Oder wenn man privat auf der B 30 unterwegs ist: „Es gibt manche Stellen, die ich mit einem bestimmten Unfall verbinde.“Das bestätigt auch Sven Layer, dessen erster B-30-Einsatz eine Kollision zwischen einem Auto und einem Lastwagen in den 1990er-Jahren war. Sohn und Mutter sind bei dem Aufprall gestorben. Im Fall des auseinandergebrochenen Mercedes hat es der Fahrer dagegen lebend herausgeschafft: „Und es hat sich herausgestellt, dass kein Kind im Auto war.“Unfälle, bei denen Kinder betroffen sind, seien äußerst belastend.
Eine Multimedia-Reportage zu „Staus, Unfälle, fehlender Ausbau – die Tücken der B 30“, auch mit einem Statement des Biberacher Feuerwehrkommandanten Florian Retsch, gibt es unter www.schwäbische.de/b30