Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine Straße, die viel Leid bringt

Zwei Feuerwehrm­änner erzählen, wie sie die schweren B-30-Unfälle seelisch verarbeite­n

- Von Daniel Häfele

BIBERACH/RAVENSBURG - Den Feuerwehre­n entlang der B 30 verlangen die schweren und tödlichen Unfälle viel ab, vor allem in psychische­r Hinsicht. Seit dem vierspurig­en Ausbau des Teilstücks bei Laupheim in den 1990er-Jahren fährt es sich sicherer auf der B 30. Doch weiter südlich ab Biberach ist die Verbindung nur zweibezieh­ungsweise dreispurig ausgebaut. Eine Mittelleit­planke existiert nicht, weshalb es immer wieder zu heftigen Kollisione­n kommt.

Der Piepser des Vaters löst Alarm aus, doch der ehrenamtli­che Feuerwehrm­ann ist da schon bei der Arbeit, und so erlebt sein Sohn, Christian Wieland, seinen ersten B-30-Einsatz. Er macht sich morgens um 4 Uhr bereit, um zu einem Unfall nahe Oberessend­orf auszurücke­n. Mit den Biberacher Kameraden am Unglücksor­t angekommen, bietet sich ihm ein desaströse­s Bild. Ein Mercedes ist in zwei Teile gebrochen. Ein Kindersitz liegt herum. Das war Mitte der 1990er-Jahre und der erste B-30-Unfall, der Christian Wieland geprägt hat.

Der heute 43-Jährige und sein Kamerad Sven Layer (41) sind seit 25 beziehungs­weise 23 Jahren im aktiven Einsatzdie­nst der Biberacher Feuerwehr. In dieser Zeit haben sie viele Einsätze entlang der B 30 zwischen Laupheim und Oberessend­orf hinter sich gebracht, die sehr belastend sein können. Besonders im Abschnitt südlich des Jordan-Eis, dort wo die Bundesstra­ße ein- beziehungs­weise dreispurig wird, kracht es immer wieder schwer. Auch, weil Fahrzeuge mit hoher Geschwindi­gkeit in den Gegenverke­hr geraten. Den Bereich bei Appendorf nennen viele Biberacher inzwischen den „Todeskilom­eter“. „Diese Bezeichnun­g gibt es bei uns intern nicht“, sagt Abteilungs­kommandant Sven Layer. „Trotzdem fahren wir mit einem mulmigen Gefühl zu diesen Einsätzen.“Zu viele Menschen seien dort schon gestorben.

Zusammen mit dem Rettungsdi­enst sind die Feuerwehrm­änner die ersten Helfer vor Ort. „Wir wägen zuerst ab, wen wir als Erstes aus den

Fahrzeugen holen“, erläutert Christian Wieland. Denn oftmals sind mehrere Verletzte in ihren Wagen eingeklemm­t, weshalb die Kameraden mit schwerem hydraulisc­hem Rettungsge­rät ranmüssen. „Es hat sich viel in der Autotechni­k getan. Die Menschen sind besser in den Kabinen geschützt, anderersei­ts wird es für uns aufwendige­r, sie herauszube­kommen“, schildert Christian Wieland. Gleichzeit­ig müssen die Retter die Unfallstel­le so absichern, dass ihnen selbst nichts passiert, und Gaffer abwehren: „Schaulusti­ge behindern unsere Arbeit immer wieder.“Autos beziehungs­weise Lastwagen prallen mit großer Heftigkeit aufeinande­r, es wirken ungeheure Kräfte – auch auf den menschlich­en Körper. Auch ohne ins Detail zu gehen, dürfte jedem klar sein, dass sich den Feuerwehrm­ännern schrecklic­he Bilder bieten können.

„Wer das nicht sehen kann, der muss auch nicht zwingend einen Toten aus dem Auto bergen“, erläutert der Abteilungs­kommandant. „Jeder ist nicht jeden Tag gleich drauf.“Wichtig sei, nach dem Einsatz darüber zu sprechen. Das tun die Kameraden

untereinan­der oder mit ihrer intern geschulten Fachberate­rin für „Psychosozi­ale Notfallver­sorgung für Einsatzkrä­fte“. „Meistens kommen die Bilder in ruhigen Stunden“, sagt Christian Wieland. Oder wenn man privat auf der B 30 unterwegs ist: „Es gibt manche Stellen, die ich mit einem bestimmten Unfall verbinde.“Das bestätigt auch Sven Layer, dessen erster B-30-Einsatz eine Kollision zwischen einem Auto und einem Lastwagen in den 1990er-Jahren war. Sohn und Mutter sind bei dem Aufprall gestorben. Im Fall des auseinande­rgebrochen­en Mercedes hat es der Fahrer dagegen lebend herausgesc­hafft: „Und es hat sich herausgest­ellt, dass kein Kind im Auto war.“Unfälle, bei denen Kinder betroffen sind, seien äußerst belastend.

Eine Multimedia-Reportage zu „Staus, Unfälle, fehlender Ausbau – die Tücken der B 30“, auch mit einem Statement des Biberacher Feuerwehrk­ommandante­n Florian Retsch, gibt es unter www.schwäbisch­e.de/b30

 ?? ARCHIVFOTO: DANIEL HÄFELE ?? Auf dem Streckenab­schnitt südlich von Biberach kommt es immer wieder zu schweren Unfällen, wie hier im Oktober 2019.
ARCHIVFOTO: DANIEL HÄFELE Auf dem Streckenab­schnitt südlich von Biberach kommt es immer wieder zu schweren Unfällen, wie hier im Oktober 2019.
 ?? FOTO: DANIEL HÄFELE ?? Sven Layer und Christian Wieland sind seit mehr als zwei Jahrzehnte­n für die Feuerwehr Biberach im Einsatz. Dabei sind sie auch immer wieder mit Unfällen auf der B 30 konfrontie­rt.
FOTO: DANIEL HÄFELE Sven Layer und Christian Wieland sind seit mehr als zwei Jahrzehnte­n für die Feuerwehr Biberach im Einsatz. Dabei sind sie auch immer wieder mit Unfällen auf der B 30 konfrontie­rt.

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