Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Sancho tritt die Heimreise an
Auszug aus Oberammergau – Esel und Kamele verlassen den Festspielort
Sabine Dobel
OBERAMMERGAU (dpa/lby) - Bei den Passionsspielen in Oberammergau waren nicht nur die Rollen für Jesus und Maria, Herodes und Pilatus bereits vergeben. Auch tierische Mitspieler sind gecastet worden, etwa ein Riesenesel und Kamele. Nun verlassen sie Oberammergau vorzeitig.
Sancho hatte die Hauptrolle – zumindest unter den Tieren. Der katalanische Riesenesel sollte Jesus beim Einzug nach Jerusalem tragen. Doch die Premiere der berühmten Passionsspiele in Oberammergau am 16. Mai ist wegen der Corona-Epidemie auf 2022 verschoben. Am Mittwochnachmittag verließ Sancho deshalb den Passionsspielort. Besitzerin Elke Kerler holte ihn mit einem Tiertransporter ab, zusammen mit den Kamelen Nalani und Amira, die bei einer Szene mit Herodesdienern an der Reihe gewesen wären.
Die 43 Jahre alte gelernte Tierarzthelferin betreibt mit ihrem Mann die „Kameloase“mit Gnadenhof in Langerringen nördlich von Landsberg am Lech. Schon bei der Passion vor zehn Jahren waren Kerlers Tiere dabei: Zwei Kamele namens Opili und Sargan.
Bei der Auswahl der Tiere für die diesjährige Passion war der dafür zuständige Oberammergauer Bauer Toni Scholler auch auf Sancho gestoßen – augenscheinlich genau der
Richtige für die Jerusalem-Szene. Denn Sancho, 25 Jahre alt, ist groß und kräftig. Er wiegt 250 Kilogramm und hat eine Schulterhöhe von 1,40 Metern. Der Esel von 2010 war mit gerade mal 1,15 Metern Schulterhöhe erheblich schmächtiger.
Im Herbst war heftig debattiert worden, ob der Ritt eines erwachsenen Christus-Darstellers auf einem Esel tierschutzwidrig ist – und ob überhaupt noch ein Esel auf die Bühne sollte. Die Organisation Peta verlangte einen zeitgemäßen Einzug von Jesus nach Jerusalem – zum Beispiel auf einem E-Roller. „Heutzutage würde Jesus nicht mehr auf einem Esel reisen“, argumentierten die Tierschützer.
Die Behörden gaben dann aber doch erneut grünes Licht für den Esel. Das betreffende Tier müsse freilich für die Aktion geeignet und stark genug sein, den Jesus die nötige Strecke – ungefähr 30 Meter – zu tragen. Zum Glück sind beide Jesusdarsteller schlank und unter 80 Kilogramm
schwer. Ein katalanischer Riesenesel könne allerdings ein Vielfaches davon verkraften, meint Bauer Scholler. Die Tiere seien früher in Spanien zum Steineschleppen eingesetzt gewesen.
Im Februar war Sancho mit den Kamelen bei Scholler eingezogen, der auf dem Hof neben dem Passionstheater Milchkühe, Schafe und ein paar Pferde hält. Vor allem seine Pferde reagierten erst einmal heftig auf die neuen Mitbewohner. „Die sind total durchgedreht – weil sie vorher noch nie ein Kamel gesehen hatten“berichtet Scholler. Die Kamele wiederum seien schwer erschrocken, als sie in den Stall mit den Kälbern schauten und erst einmal davongerannt. Gerade hatten sich alle aneinander gewöhnt. Vom nahen Bäcker bekam Sancho auch das, was er daheim bei Elke Kerler neben Karotten am liebsten mag: alte Brezen.
Für Kerler ist Oberammergau nicht nur ideell wichtig – sondern auch finanziell. „Von dem Geld habe ich versprochen, dass ich ein Gnadenbrotkamel aufnehme.“Die vielen Absagen wegen der Corona-Krise bringen sie nun aber in große Nöte. Märkte, Mittelalterspiele, Hochzeiten, Kindergeburtstage – alles breche weg. Dabei sind an die 80 Tiere zu ernähren. „Wir haben es 18 Jahre ohne Spenden geschafft“, sagt sie. Darauf sei sie stolz gewesen. Nun aber bekomme die Kameloase Heu von benachbarten Bauern, die selbst nicht wüssten, wie es weitergehe. „Ohne Leistung gegen Geld geht es nicht“, sagt Kerler. „Wir können den Tierarzt nicht mit Kamelreiten als Gegenleistung entschädigen.“
Kerler hofft, dass es bald weitergeht, und setzt auch auf die Passion 2022. „Ich hoffe, dass Sancho wieder dabei ist. Wenn er noch gesund ist.“Er sei nicht mehr der Jüngste. Die Oberammergauer würden ihn jedoch gern wieder nehmen. JesusDarsteller Frederik Mayet, der auf dem Riesenesel probegesessen hatte, verspricht: „Wir holen ihn wieder.“